100 Jahre Kapp-Putsch und Märzrevolution

Kämpfer der Roten Ruhrarmee in Dortmund

Am 12. März 1920 rücken Einheiten der Marine-Brigade Erhardt auf Berlin vor. Das Freikorps, das 1919 bereits an der blutigen Zerschlagung der Münchener Räterepublik beteiligt war, soll die Hauptstadt besetzen und die Reichsregierung verhaften. Es ist der Beginn eines Putsches nationalistischer und monarchistischer Kräfte, der die parlamentarische Demokratie beseitigen und eine Militärdiktatur errichten soll. Am Folgetag muss die von SPD, Zentrum und liberaler DDP gebildete Reichsregierung vor den Putschisten aus Berlin fliehen, veröffentlicht aber noch einen Aufruf zum Generalstreik. Überall in Deutschland reagierten Arbeiter*innen spontan mit Streikaktionen auf die Nachricht vom Putsch und beginnen, sich zu bewaffnen.

In die Geschichte ging der Staatsstreich als Kapp-Putsch ein. Benannt wurde er nach Wolfgang Kapp, einem hohen ostpreußischen Verwaltungsbeamten, reaktionären Politiker und führenden Putschisten. An der Verschwörung zur Beseitigung der Republik waren aber auch andere Reaktionäre beteiligt. Während Erich Ludendorf, der zweithöchste deutsche Militär im Ersten Weltkrieg, eher im Hintergrund agierte, spielte General Walter von Lüttwitz eine zentrale Rolle. Er hatte das Kommando über zahlreiche Einheiten der Reichswehr und der Freikorps. Die Freikorps waren nach dem Ersten Weltkrieg gebildete Militäreinheiten, die von ehemals kaiserlichen Offizieren geführt und von Freiwilligen gestellt wurden. Die Führer der Freikorps waren meist äußert reaktionär gesinnt, bei vielen handelte es sich um frühe Faschisten, die in den Folgejahren der SA und NSDAP beitraten. Als die Marine-Brigade Erhardt in Berlin einfiel, trugen die Soldaten bereits das Hakenkreuz auf ihren Stahlhelmen.

Putschisten verteilen Flugblätter

Die SPD-geführte Reichsregierung hatte nach Ende des Ersten Weltkriegs die Freikorps zur brutalen Niederschlagung von Arbeiter*innen-Aufständen eingesetzt. Insbesondere der sozialdemokratische Reichswehrminister Gustav Noske hatten den Freikorps-Führern die Treue geschworen, umso empörter reagierten sie als Noske aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags sich Ende Februar 1920 gezwungen sah, die Auflösung der Freikorps anzuordnen. Als die Reichsregierung auf ein Ultimatum von Lüttwitz nicht reagierte, ihn aber auch nicht wegen Hochverrats verhaften ließ, begannen die Putschisten ihre schon länger geplante Aktion.

Auf Widerstand der Staatsgewalt stießen die militärisch ausgerüsteten Putschisten nicht. Die Ende 1919 von der Reichsregierung aufgestellte, paramilitärische Sicherheitspolizei sympathisierte mit den Putschisten, ebenso zahlreiche Offiziere der Reichswehr. Reichswehr-General Johannes von Seeckt erklärte: „Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr.“ Andere Generäle wie der in Münster stationierte General von Watter stellten sich zwar offiziell nicht auf die Seite der Putschisten, erklärten aber ebenso wenig ihre Haltung zur Verfassung. Watter ließ stattdessen verlautbaren, er sei „entschieden gegen Rechts- und Linksradikalismus“ und für die Herstellung von „Ruhe und Ordnung“.

Dass der Putsch nach wenigen Tagen zusammenbricht, war zu aller erst den Abwehrkämpfen der Arbeiter*innen zu verdanken. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet gelang den bewaffneten Arbeiter*innen Freikorpseinheiten zu entwaffnen und eine Rote Ruhrarmee aufzubauen. In der Roten Ruhrarmee und den in den Städten gebildeten Räten arbeitete die Basis von SPD, USPD und KPD sowie Anarcho-Syndikalist*innen zusammen. Die Arbeiter*innen hatten die Kontrolle über das Ruhrgebiet übernommen, Reichswehr-Einheiten mussten sich ins Umland zurückziehen.

Das Zusammenbrechen des Putsches war aber nicht das Ende der Kämpfe im Ruhrgebiet. Die Arbeiter*innen wollten nun die Umsetzung der seit der Novemberrevolution 1918 aufgestellten Forderungen nach der Sozialisierung der Industrie und Auflösung der Reichswehr. Ziel der nun wieder im Amt befindlichen SPD-dominierten Reichsregierung war es, die Arbeiter*innenbewegung im Ruhrgebiet zu spalten und entwaffnen. Reichswehr-Generäle wie Watten wurden hingegen auf ihrem Posten belassen. Schließlich gab die Regierung der Reichswehr und den Freikorps freie Hand ins Ruhrgebiet einzumarschieren. Unter anderem von Münster aus stießen vor allem süddeutsche Freikorps-Einheiten aber auch die Burschenschaftern gestellte Akadamische Wehr vor. In Pelkum, heute ein Stadtteil von Hamm, kam es am 1. April 1920 zu einem großen Gefecht mit der Roten Ruhrarmee, die der militärischen Übermacht nicht gewachsen war. Mindestens 100 Rotarmist*innen starben, die meisten allerdings nicht bei Kampfhandlungen. Sie wurden als Gefangene massakriert. Die Brutalität der Soldaten war auch anderorts enorm.

Hakenkreuz auf den Helmen und dem LKW: Die Marine-Brigade Erhardt in Berlin.

Ein Freikorps-Soldat schrieb an seine Schwester: „Pardon gibt es überhaupt nicht. Selbst die Verwundeten erschießen wir noch. Die Begeisterung ist großartig, fast unglaublich.“ Die Soldaten verhafteten auch nach der Besetzung der Städte noch Menschen und erschossen sie. Über 1000 Arbeiter*innen wurden getötet. Innerhalb weniger Tage hatte die Regierung die Kontrolle über das rheinisch-westfälische Industriegebiet zurückerlangt – mit Hilfe eines Militärapparats, der zu erheblichen Teilen zuvor den Kapp-Putsch unterstützt hatte. Die Rote Ruhrarmee löste sich auf.

Warum macht es Sinn sich heute, 100 Jahre nach den Ereignissen, noch mit dieser Geschichte zu befassen?

Die Abwehr des Kapp-Putsches ist ein herausragendes Beispiel des Antifaschismus. Durch die gemeinsame Aktion verschiedener Fraktionen der Arbeiter*innenbewegung und bürgerlicher Demokrat*innen wurde die Errichtung einer nationalistischen Militärdiktatur verhindert. Die junge parlamentarische Demokratie wurde vorerst gerettet. Zugleich wiesen die Ereignisse weit über den Abwehrkampf hinaus, denn der Märzaufstand war der „letzte Versuch, die Novemberrevolution zu vollenden“ (Klaus Gietinger). Das tragische Scheitern dieses Versuchs war prägend für die weiteren Jahre. Ebenso fatal war, dass der Kapp-Putsch nicht dazu führte, die parlamentarische Demokratie in Weimar zu sichern, denn dazu hätten die Machtbastionen der Reaktionären in der Reichswehr und der Verwaltung geschliffen werden müssten. Doch dies wollte die SPD-Führung nicht, stattdessen ließ sie die Militärs auf ihre eigenen Leute und die links von ihr stehenden Arbeiter*innen los. Dies vertiefte die Spaltungen innerhalb der Arbeiter*innenbewegung. Einige der am Kapp-Putsch Beteiligten versuchten drei Jahre später beim Hitler-Ludendorf-Putsch erneut die Republik zu beseitigen. Als die Nazis 1933 die Macht erlangten, stützten sie sich auch auf die reaktionären Militärs. Der Kapp-Putsch ist somit ein wichtiger Teil der Vorgeschichte des Nationalsozialismus.

Dennoch sind die Ereignisse 1920 fast vergessen. Im schulischen Geschichtsunterricht spielen sie (so gut wie) keine Rolle. Umso erfreulicher ist es, dass sich mehrere Veranstaltungen mit Kapp-Putsch und Märzrevolution befassen.

13. März 2020
Vor hundert Jahren: Revolutionäre Bewegung gegen den Kapp-Putsch
20:00 Uhr, Leo:16-Kollektivkneipe, Herwarthstraße 7, Münster
Veranstalterin: Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union Münster


19./20./21. März 2020
Gegen den Putsch. Theaterstück zum 100. Jahrestag des Kapp-Putsches und der roten Ruhrbewegung
Kleiner Bühnenboden, Schillerstraße 48a, Münster
Veranstalterin: b-art mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW

28. März 2020
Gedenkveranstaltung und Kranzniederlegung in Pelkum
15:00 Uhr, Kommunalfriedhof, Bönenerstraße, Hamm-Pelkum
Veranstalterin: Arbeitskreis Blumen für Pelkum

1. April 2020
„Pardon gibt es überhaupt nicht!“ – Münster reaktionäre Netzwerke und die Niederschlagung der Märzrevolution 1920
19:00 Uhr, Leo:16-Kollektivkneipe, Herwarthstraße 7, Münster
Veranstalterinnen: Antifa Linke Münster, Interventionistische Linke Münster


Literaturtipps
Klaus Gietinger: Kapp-Putsch. 1920. Abwehrkämpfe. Rote Ruhrarmee. Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2020.
Erhardt Lucas: Märzrevolution 1920 (Neuherausgabe), Verlag Die Buchmacherei, Berlin 2020.

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