Zur Debatte um Straßennamen

In Münster wird zurzeit eine Debatte um die Umbennung von Straßen geführt, die nach Personen benannt sind, die während des Nationalsozialismus Stützen des Systems, willige Helfer_innen oder Täter_innen waren. Die Debatte dreht sich vor allem um Hindenburg, nach dem der zentrale Platz vor dem Schloss benannt ist. Eine Historikerkomission hat nun die Biografien der Geehrten untersucht und kommt zu dem wenig verwunderlichen Schluss, dass es sich bei ihnen um NS-belastete Personen handelt. Hindenburg bereitete Hitler maßgeblich den Weg zur Macht, als er ihn zum Reichskanzler ernannte. Doch vor allem an der CDU-Basis rumort es, sie will die Straßen auch gegen den Willen ihres Bürgermeisters nicht umbenennen. Bis zum 16. März kann noch die von der Villa ten Hompel konzipierte Ausstellung „Ehre, wem Ehre gebührt?!“ in der Bürgerhalle besichtigt werden, welche die Ergebnisse der Historikerkommission vorstellt. Vor einigen Jahren hatten Antifas bereits eine provisorische Straßenumbenunng durchgeführt. In der aktuellen LOTTA erschien ein lesenswerter Artikel von Daniel Markgraf, der die Straßenumbennungen aus antifaschistischer Sicht diskutiert:

Zweifelhafte Ehrungen. Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur

Personenbezogene Straßennamen haben mindestens zum Zeitpunkt ihrer Benennung einen ehrenden Charakter. Straßenbenennungen werden politisch instrumentalisiert und Konflikte um deren Namenspatrone geben Auskunft über vorherrschende gesellschaftspolitische Diskurse. Insbesondere politische Systemwechsel oder veränderte Sichtweisen auf historische Persönlichkeiten und Ereignisse können der Grund für Umbenennungen sein.

Wegweiser in die Vergangenheit
Straßen gehören zum festen Bestandteil unseres Alltags. Den Namen der Straßen schenkt man allerdings nur wenig Beachtung. Dabei gehören gerade sie zum sichtbaren Teil der Vergangenheitspolitik einer Stadt und verweisen auf die Zeit ihrer Verleihung: auf die jeweiligen Herrschaftsverhältnisse und die vorherrschenden Geschichtsbilder. Straßennamen entwickelten sich erst etwa ab dem 13. Jahrhundert. Ihre Entstehung ist eng mit der mittelalterlichen Stadtentwicklung und der zunehmenden Komplexität des Straßenverkehrsnetzes verbunden. Straßenschilder gab es zu dieser Zeit allerdings noch nicht. Die Leute beschrieben stattdessen die Eigenschaften der Straßen nach Auffälligkeiten, die sie mit Augen, Ohren und auch mit dem Geruchssinn wahrnahmen und einordnen konnten. So entstanden etwa die „Schlosserstraße“ oder die „Fleischergasse“. Jahrhundertelang haben sich die Menschen so orientiert – die volkstümlichen Bezeichnungen der Straßen setzten sich fest und wurden irgendwann von Kartografen als offizielle Straßennamen aufgeschrieben.

Erst im 19. Jahrhundert wurde die Straßenbenennung zum Verwaltungsakt und damit auch zum politischen Instrument. Heutige Straßennamen sind in der Regel aus den Bereichen Fauna und Flora (Nussbaumweg) abgeleitet, lehnen sich an Städtenamen (Düsseldorfer Straße) an, greifen Flurbezeichnungen (Bückers Weide, Emscherdelle) auf oder haben einen topografischen Lagebezug (An der Hundewiese). Auch die Ortsgeschichte (Gänsemarkt) und Handwerkszweige (Steinmetzstraße) haben Einfluss. Oft verweisen die Straßennamen auch auf bestimmte Einrichtungen (Gerichtsstraße). Meistens werden die Namen so gewählt, dass sie sich in die Umgebung einpassen. So entstehen dann Viertel mit Straßen, die alle nach Blumen benannt sind, oder es gibt viele Straßen nebeneinander, die alle wichtigen DichterInnen gewidmet sind.

Urbane Geschichtspolitik

Längst nicht alle Straßennamen sind dabei so unverdächtig. Insbesondere bei solchen, die zu Ehren von geschichtsträchtigen Persönlichkeiten und Ereignissen gewählt wurden, lassen sich recht fragwürdige Beispiele finden. Die in diesem Zusammenhang besonders negativ auffallenden Erinnerungsinhalte lassen sich grob in drei Epochen einteilen: deutsche Kolonialgeschichte, preußischer Militarismus und der Nationalsozialismus (NS).

Zwischen 1885 und 1945 (in manchen Fällen sogar später) sind zahlreiche Straßen in deutschen Städten nach kolonialen Akteuren benannt worden. Noch immer ehren zahlreiche dieser Straßennamen deutsche Kolonialbegründer, Gouverneure, Beamte und Krieger in kolonialen Diensten, kolonialenthusiastische „Forschungsreisende”, vom Kolonialhandel profitierende Kaufleute und sogar Sklavenhalter und Menschenhändler des deutschen Kolonialismus in Afrika, Asien und Ozeanien. Auch besondere Orte der deutschen Kolonialgeschichte und geraubte „Kolonialwaren” dienen als Namensgeber. Ein Beispiel für die kolonialen Vergangenheitsbezüge im öffentlichen Raum findet sich etwa mit dem „Afrika-Viertel“ in Köln-Nippes (vgl. LOTTA #41, S. 20).

Auch der preußisch-deutsche Militarismus hat auf den Straßenschildern seine Spuren hinterlassen. Bekanntestes Beispiel ist wohl das Wiesbadener „Feldherrnviertel”, ein Wohnviertel im Westen der hessischen Landeshauptstadt. Dessen Straßennamen sind allesamt nach preußischen Feldherren und Generälen, vornehmlich aus der Zeit der so genannten Befreiungskriege gegen Napoleon 1813 und des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, benannt. Heute kommt auch so gut wie keine größere Stadt ohne eine „Moltkestraße“ aus, benannt nach dem preußischen Generalfeldmarschall Helmuth Graf von Moltke (1800-1891). Moltke hatte sich nicht nur im Zuge der so genannten deutschen Einigungskriege verdient gemacht, sondern gehörte auch schon früh zu den Befürwortern einer deutschen Expansion nach Übersee. Vor allem nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 war es üblich Straßen und Plätze nach populären preußischen Feldherren und Orten bedeutender Schlachten zu benennen. Sie tragen die Namen der verehrten Kriegshelden bis heute.

Anders sieht es hingegen mit einigen Straßennamen aus, die von den Nazis geändert, also neu eingeführt wurden. In dieser Zeit nämlich gingen die Deutschen dazu über, zahlreiche Straßen und Plätze nach Funktionären und Organisationen der NSDAP und „Blutzeugen”, also Märtyrern der NS-Bewegung, umzubenennen. Die meisten Straßen, die in diesem Kontext ihren Namen erhielten, wurden nach 1945 recht schnell wieder umbenannt, schließlich war das „andere Deutschland“ auch auf dieser Ebene um eine Abgrenzung vom NS bemüht. Damit stellt die Zerschlagung des NS neben den Jahren 1918/19, 1933 und 1989/90 also eine jener politischen Zäsuren dar, die in Deutschland die Umbenennung zahlreicher Straßen zur Folge hatte. Nach wie vor sind aber immer noch viele Straßen nach Wegbereitern, Protagonisten und Organisationen des NS benannt. Wegen ihrer Arbeit im und für den NS stehen in jüngerer Zeit insbesondere einige „Kulturschaffende“ im Mittelpunkt der Diskussion um ihre politische Tragbarkeit als NamenspatronInnen: die ostpreußische Dichterin Agnes Miegel und die westfälischen Heimatdichter Friedrich Castelle und Karl Wagenfeld, dem allein in Westfalen 70 Straßen gewidmet sind. ExpertInnen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sehen darin den Ausdruck eines sich wandelnden Verständnisses und gesellschaftspolitischen Umgangs mit der NS-Diktatur, insbesondere mit den TäterInnen und Opfern.

Streitfaktor Erinnerung
Im Juli dieses Jahres luden deshalb der LWL und der Westfälische Heimatbund zu einer Tagung mit dem Titel „Fragwürdige Ehrungen“ ein. Rund 200 VertreterInnen westfälischer Städte und Gemeinden und weitere Interessierte beschäftigten sich mit aktuellen Kontroversen um die Biographien einiger NamenspatronInnen von Straßenschildern, besonders im Zusammenhang mit deren Wirken im NS. Konkret ging es um die Schriftstellerin Agnes Miegel, den Heimatschützer Karl Wagenfeld, den Psychiater Hermann Simon und den Sportfunktionär Carl Diem. Ihnen allen wird eine ideologische Nähe zum NS bescheinigt. Grundsätzlich wolle der LWL aber keine „Schwarze Liste“ erstellen, man könne nur Empfehlungen aussprechen. Die Entscheidungen für eine Umbenennung müssten letztlich die einzelnen Städte und Gemeinden treffen, so der LWL-Direktor Dr. Wolfgang Kirsch.

Gerade die tun sich damit oft aber schwer. Nicht nur, dass vor allem die AnwohnerInnen einer Straßenumbenennung kritisch gegenüberstehen und zum Teil heftig dagegen protestieren. Auch in den Stadträten und Bezirksvertretungen, die über eine Umbenennung letztlich entscheiden, kommt es mitunter zu kontroversen Diskussionen. Die Spannweite der Argumente, die gegen eine Umbenennung ins Feld geführt werden, reichen dabei von der Sorge um die Kosten für die AnliegerInnen, die ihre Visitenkarten und personenbezogenen Ausweise ändern lassen müssten, über die vermeintlich geringe historische Relevanz des bestehendes Namens bis hin zur kompletten Verweigerung gegenüber kritischen Erkenntnissen neuerer Forschungen, die den NamenspatronInnen „plötzlich“ eine völkische Gesinnung oder ungeahnte Verstrickungen in nationalsozialistische Organisationen nachweisen. Eine Einordnung fällt den EntscheidungsträgerInnen umso schwerer, wenn die auf dem Straßenschild geehrte Person einerseits dem NS zugetan war, andererseits aber auch große literarische Leistungen vollbracht oder einen besonderen Beitrag zur Entwicklung der Regionalgeschichte geleistet hat. Das Votum für eine Umbenennung wird gerade wegen dieser ambivalenten Identitäten nur allzu oft zugunsten der Beibehaltung des Status quo und zum Nachteil kritisch-historischer Erinnerungskultur entschieden.

Anhand lokalpolitischer Debatten über Straßennamen lässt sich also viel über das Verständnis von Geschichts- und Erinnerungspolitik bei VertreterInnen der Stadt und den AnwohnerInnen erfahren. Oft kontern insbesondere rechtskonservative Parteien auf einen Antrag zur Umbenennung einer Straße mit NS-belasteter NamensgeberIn mit der Forderung, dann auch alle „kommunistischen“ Straßennamen umbenennen zu wollen. Auch vor extremismustheoretischem Unnsinn ist man in solchen Debatten also nicht gefeit.

Verhältnismäßigkeiten
Das Erinnern an geschichtsträchtige Ereignisse und Persönlichkeiten im öffentlichen Raum geschieht somit nicht nur in Form von Denkmälern und Gedenktafeln, sondern auch durch die Benennung von Straßen, Plätzen und Schulen. Wenn man nun Straßennamen dergestalt als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur begreift, so scheint es doch unerlässlich, die Kritik an fragwürdigen Straßennamen nicht isoliert stehen zu lassen, sondern zu versuchen, diese in eine generelle Analyse und Kritik der deutschen Erinnerungspolitik einzubetten. Schließlich schlagen sich dominierende Geschichtsbilder im Medium des Straßennamens nur nieder, sind also bloß deren Ausdruck und nicht umgekehrt deren Ausgangspunkt. Demzufolge wäre beispielsweise ausgehend von der „Stauffenbergstraße“ der Bogen zur kritischen Auseinandersetzung mit dem bundesdeutschen Gedenken an den 20. Juli 1944 zu spannen. Angesichts dessen ideologischer und politischer Mobilisierungsfähigkeit ist die Existenz einer dem Volkshelden Claus Schenk Graf von Stauffenberg gewidmeten Straße nun wirklich das geringere Problem.

Ausweglos?
Bei der Kritik an NamenspatronInnen gilt es also deren Einbettung in die deutsche Geschichtspolitik überhaupt zu beachten. Trotzdem kann, wenn die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, eine kritische Intervention bei fragwürdigen Straßennamen nicht verkehrt sein. Man könnte etwa die Auseinandersetzung mit dem Straßennamen als Vehikel benutzen, um seinen Inhalten auf lokaler Ebene Gehör zu verschaffen. Um eine Straßenumbenennung umzusetzen, eignet sich das gängige Aktionsrepertoire von Pressemitteilungen über Flugblätter für die AnwohnerInnen bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen wie Kundgebungen.

Allerdings sollte bei einer erfolgversprechenden Forderung nach einer Straßenumbenennung berücksichtigt werden, dass der alte Name und der Verweis auf die damit verbundenen Geschichtsbilder einfach gestrichen werden. Einer solchen Entsorgung der Vergangenheit sollten AntifaschistInnen keinen Vorschub leisten. Wichtig bei einer angestoßenen Debatte wäre es deshalb darauf hinzuwirken, dass unter dem neuen Namensschild eine Informationstafel angebracht wird, die auf die geschichtlichen und politischen Hintergründe des/der (vorherigen) Namenpatrons / Namenspatronin hinweist und erklärt, warum dieseR politisch nicht mehr tragbar ist und sich eine Reverenz verbietet.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine kritische Auseinandersetzung mit deutscher Geschichtspolitik auch im urbanen Raum auf der Ebene der Straßennamen geleistet werden kann. Eine hinreichende Kontextualisierung scheint dafür aber unabdingbar, andernfalls liefe die Intervention gegen fragwürdige Namen Gefahr, in einer Ein-Punkt-Aktion stecken zu bleiben.

Mehr Informationen
Antifaschistische Union Dortmund (Hg.) (2011): Wegweiser in die Vergangenheit. Fragwürdige Straßennamen in Dortmund. Auch online verfügbar.

Jaworski, Rudolf/Stachel, Peter (Hg.) (2007): Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich.

Pöppinghege, Rainer (2007): Wege des Erinnerns. Was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen.


Dieser Artikel erschien in der Ausgabe # 46 (Winter 2010/2011) der antifaschistischen Zeitschrift LOTTA.

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