An dieser Stelle Dokumentieren wir den Redebeitrag der auf der antifaschistischen Demonstration „Nazis die Räume nehmen – Keine Toleranz der Intoleranz“ in Emsdetten am 13.10.2012 gehalten wurde
Liebe Freundinnen und Freunde!
Vor fast einem Jahr wurde die Existenz des NSU bekannt und durch einen Zufall einer der größten unaufgeklärten Mordserien aufgedeckt. Neonazis haben zwischen 2000 und 2007 zehn Personen ermordet. Neun Opfer waren Kleinunternehmer und Arbeiter mit Migrationshintergrund. Das letzte Opfer war ein Polizistin, ihr Kollege wurde bei dem Attentat schwer verletzt. Bei mindestens zwei Bombenanschlägen in Köln verletzten die Neonazis unzählige weitere Menschen. Ihr Motiv war: Rassismus!
Die Anschläge des NSU stellen eine Zäsur dar. Staatliche Stellen haben über Jahre vehement geleugnet, dass es rechtsterroristische Bestrebungen auch nur in Ansätzen geben könnte. Antifaschistisch_innen haben Taten dieser Dimension ebenfalls nicht für möglich gehalten, obwohl sie natürlich darüber im Bilde waren, dass Neonazis in den vergangenen 30 Jahren unzählige Brand- und Sprengstoffanschläge sowie politische motivierte Morde begangen haben – und im Gegensatz zu staatlichen Stellen haben Antifaschist_innen auch immer wieder auf die große Gefahr hingewiesen, die von bewaffneten Neonazis ausgeht.
Schwerer wiegt die Tatsache, dass über Jahre die nicht-aufgeklärten Morden nie ernsthaft auf einen möglichen nazistischen Hintergrund geprüft wurden. Und dies obwohl Betroffene und Angehörige oftmals deutlich gemacht haben, dass sie nur Neonazis als Täter vermuten. In Dortmund und Kassel demonstrierten bereits 2006 Hunderte, die forderten „Kein 10. Opfer“. Doch sie wurden nicht gehört, weil die Ermittlungsbehörden jahrelang einseitig in Richtung „organisierte Kriminalität“ im Umfeld der Opfer ermittelten. Die Ermittlungen gegen die Angehörigen der Ermordeten waren von Verdächtigungen, zahllosen Verhören, geheimen Methoden wie Verdeckte Ermittler und Abhöraktionen gekennzeichnet. Hier zeigte sich ein institutionalisierter Rassismus.
Ein Jahr nach der Aufdeckung der Anschläge kann nicht gesagt werden, dass die richtigen Konsequenzen gezogen wurden. Ebenso wenig können wir mit der Aufklärung zufrieden sein – vor allem, was die Rolle der Geheimdienste im NSU-Komplex angeht.
Ein kurzer historischer Rückblick zeigt, dass der NSU-Skandal wahrlich nicht die erste schwerwiegende Affäre des Verfassungsschutzes ist. Gegründet 1950 ging er aus einer der Organisation namens »This agency« hervor, welche zur Aufgabe hatte die junge Bundesrepublik vor den „Gefahren des Kommunismus“ zu schützen und Informationen über die 1945 neu gegründete KPD zu sammeln.
Von 1955 bis 1972 war Hubert Schrübbers Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz. Mit ihm wurde ein Mann oberster Hüter der freiheitlich demokratischen Grundordnung, der zwischen 1938 und 1941 als Staatsanwalt in Bochum, Dortmund und Arnsberg, dann als Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Hamm politische Gegner_innen und Jüdinnen und Juden angeklagt hatte, damit diese im Gefängnis “gut aufgehoben” seien, wie Schrübbers nach 1945 sein Verhalten während des NS begründete. Nach dem er 1946 aus der britischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt war nahm er seine Arbeit als Oberstaatsanwalt 1948 wieder auf. 1950 wurde er Bundesanwalt am Bundesgerichtshof und wechselte 1953 als Generalstaatsanwalt zum Oberlandesgericht Düsseldorf. Weder seine Vergangenheit als NS Jurist, noch seine Mitglidschaft im SA Sturm Münster hatten seiner Karriere in der jungen Bundesrepublik im Wege gestanden.
In der bis 1955 unter alliierter Aufsicht stehenden Behörde tummelten sich viele weitere ehemalige Gestapo-Beamte und Angehörige der SS. Zu Beginn als inoffizielle Mitarbeiter ab 1955 dann auch offiziell. Zwar hatten die Alliierten beschlossen, dass nach dem zweiten Weltkrieg Polizei und Geheimdienst voneinander getrennt werden sollten. Doch sowohl bei der Kripo, als auch beim BKA und beim Verfassungsschutz schusterten sich die alten Gestapo-, Polizei- und SS-Männer gegenseitig die Posten zu. In NRW hatte der Großteil der leitenden Kripo-Beamten eine SS-Vergangenheit, im Bundeskriminalamt gab es unter den 47 Führungsbeamten 33 ehemalige SS-Führer.
Vor diesem Hintergrund kann es nicht verwundern, dass sich die Arbeit des Verfassungsschutzes in erster Linie gegen „Linke“ richte. Nicht nur das Verbot der KPD 1952 war wie eingangs erwähnt vom Verfassungsschutz vorbereitet worden. Auch beim sogenannten „Radikalenerlass“ der in den 70er Jahren für viele angehende Lehrerinnen und Lehrer zu Berufsverboten führte, hatte der VS seine Finger im Spiel. Das Material zur Überprüfung von 1,4 Millionen Bewerberinnen und Bewerbern auf Stellen im öffentlichen Dienst wurde vom Dienst zusammengetragen. Schon die Kandidatur auf einer „linken Liste“ während der Studienzeit bedeutete für manche das Aus ihrer Berufskarriere.
Während also Alt-Nazis als Hüter der Demokratie auftraten und meinten Deutschland vor der herbeigeredeten „Roten Gefahr“schützen zu müssen, reorganisierte sich die extreme Rechte in Deutschland. Ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS organisierten sich im Bund Deutscher Jugend, um bei einem von ihnen befürchteten “Linksruck” in der Bundesrepublik – oder gar einem Einmarsch der roten Armee – den bewaffneten Kampf aufnehmen zu können. Der BDJ wurde 1952 verboten. Eine von der BDJ erstellte Liste mit Steckbriefen politischer Gegner glich denen des Bundesamtes für Verfassungsschutz so offensichtlich, dass der Verdacht der Kooperation nahe liegt.
In den siebziger Jahren beteiligten sich V-Leute des VS nachweislich an der Finanzierung extrem rechter Terrorzellen, am Bombenbau und der Beschaffung von Waffen. Auch der Rechtsterrorist Peter Naumann erhielt Unterstützung von V-Leuten des Verfassungsschutzes. Naumann, Funktionär der NPD und deren Jugendorganisation, verübte 1978 zusammen mit Heinz Lembke einen Sprengstoffanschlag auf ein Denkmal in der Nähe von Rom, dass an die Ermordung von 335 Zivilisten durch die SS im März 1944 erinnern. 1979 sprengte er zusammen mit Komplizen zwei Fernsehsendemasten – einen in der Nähe von Münster – um die Ausstrahlung der bevorstehenden Fernsehserie Holocaust zu verhindern. Bei den Anschlägen kamen glücklicherweise keine Menschen zu schaden doch sie bildeten den Auftakt zu einer ganzen Reihe extrem rechter Terror Anschläge.
Auch in den 80er Jahren mischten V-Leute des VS in fast jeder Organisation der extremen Rechten mit. So zum Beispiel in der Nationalistischen Front (NF), die ihr Hauptquartier in Bielefeld hatte. Der Neonazi Norbert Schnelle ließ sich 1983 vom VS als V-Mann anwerben. Im Einvernehmen mit dem örtlichen Führungskader Meinolf Schönborn wurde mit den Geldern, die er für seine Tätigkeit bekam, die Nazigruppe aufgebaut. Auch die NPD profitierte von den Geldströmen des VS. Der ehemalige Chef der NPD-NRW, der seit den 1960ern V-Mann war, sagte, ohne das Geld vom Geheimdienst wäre es nicht möglich gewesen, die NPD im Land aufzubauen.
Hinlänglich bekannt dürfte inzwischen sein, dass der „Thüringer Heimatschutz“, eine militante Nazikameradschaft, der Mundlos, Zschäpe und Böhnhart entstammten, in den 1990er Jahren ebenfalls durch V-Leute des Verfassungsschutzes aufgebaut wurde. Einer der wichtigsten Personen des Thüringer Heimatschutz war Tino Brandt, soll für seine V-Mann-Tätigkeit 200.000 Mark kassiert haben, die er zum Großteil der Szene zur Verfügung stellte. Brandt war nicht der einzige. Von gut 120 Mitgliedern der Kameradschaft sollen zeitweise 40 im Solde staatlicher Behörden gestanden haben. Der Thüringische Inlandsgeheimdienst hatte in den 1990er ein Budget von 2 Millionen Mark für V-Leute. Mehrere dieser V-Leute standen in Kontakt zu den drei 1998 untergetauchten Nazimörder_innen, sie halfen ihnen. Es sollen sogar 2.000 DM vom VS gezahlt worden sein, damit sich die Untergetauchten gefälschte Pässe besorgen könnten.
So viel scheint nur festzustehen: Aus welchen Gründen auch immer, die Geheimdienste haben die gesuchten Neonazis nicht finden wollen bzw. sie waren nah an ihnen dran, aber diese Informationen wurden nicht an die Polizei weitergegeben. Zudem zog jedes Amt eine eigene Linie durch, schützte ihre V-Leute um jeden Preis und verteidigte eifersüchtig das eigene Wissen. Profitiert haben davon vor allem die Neonazis. Und da dieses Handeln kein Versehen war, sondern Teil eines Musters wie Geheimbehörden arbeiten, war es auch kein einmaliger Ausrutscher sondern ist systemimmanent und wird sich ähnlich wiederholen. Ein Geheimdienst lässt sich nicht kontrollieren.
Der NSU-Skandal lässt sich nicht mit „Pleiten, Pech und Pannen“ erklären. Doch genau diese Interpretation machen nun die Sicherheitpolitiker_innen stark, die ihren Geheimdienst aus der Kritik nehmen wollen. Sie kündigen Reformen an, die das Ziel haben, die Kompetenzen der Dienste weiter auszubauen. Ein Beispiel dafür ist das Gemeinsame Abwehrzentrum, das im Dezember eröffnet wurde. Auch NRW-Innenminister Jäger will seinen Verfassungsschutz stärken und erklärt ihn als unverzichtbar. Er soll verstärkt in denjenigen Feldern aktiv werden, mit denen sich gute PR machen lässt. Dies sind vor allem das umstrittene Aussteigerprogramm sowie die Bildungsarbeit.
Einzelne Reformen sind aber keine Lösung des Problem. Denn das Problem ist der Verfassungsschutz selbst. Die Organisation die sich den Schutz der Demokratie auf die Fahnen schreibt ist es, welche die Demokratie unermüdlich aushöhlt und jegliche emanzipatorische Bewegungen kriminalisiert. Sie ist nicht reformierbar, sondern gehört abgeschafft.
Wir rufen euch deshalb dazu auf, am 10. November in Köln für die Auflösung des Verfassungsschutzes zu demonstrieren. Warum Köln? Köln ist die Stadt, in der in den Jahren 2001 und 2004 Bombenanschläge durch den NSU verübt wurden. Und Köln ist auch die Stadt, in der die rassistischen Ermittlungen der Polizei die Opfer und ihre Angehörigen ein zweites Mal zu Opfern machten. Daneben sind in Köln die beiden Geheimdienste „Militärischer Abschirmdienst“ (MAD) und das „Bundesamt für Verfassungsschutz“ beheimatet. Daher wollen wir am 10. November in Köln-Chorweiler demonstrieren, dem Stadtteil, in dem der Verfassungsschutz ansässig ist.