Am 13. Februar 2021 hielten wir auf der anarchistischen Kundgebung anlässlich des 100. Jahrestages von Peter Kropotkins Beerdigung in Münster einen Redebeitrag zum geplanten neuen Versammlungsgesetz für NRW:
Liebe Genoss:innen,
es steht ein trojanisches Pferd vor unserer Tür. Unter dem Vorwand des Kampfes gegen die extreme Rechte soll mit dem neuen Versammlungsgesetz für NRW die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt werden. Der Schirmherr dieser Initiative ist ein Wiederholungstäter: Innenminister Herbert Reul setzt seit jeher auf Repression und Aufrüstung und hat bereits mit dem Polizeigesetz in NRW alles darangesetzt, der Polizei weitgehend freie Hand im Umgang mit unliebsamen, in der Regel emanzipatorischen, Bewegungen zu geben. Damit ist er nicht ganz durchgekommen, aber der Schaden, den das hoffentlich bald als verfassungswidrig kassierte Polizeigesetz angerichtet hat, ist beträchtlich.
Nun schickt sich also der werte Innenminister, der privat gerne mal Pickelhaube trägt, an, die Versammlungsfreiheit in NRW zu schleifen. Ursprünglich als Reaktion auf den Nationalsozialismus verherrlichende Naziaufmärsche an Gedenktagen und Erinnerungsorten geplant, ist das neue Versammlungsgesetz für NRW ein einziger autoritärer Albtraum – oder Traum je nach Perspektive – mit dem Potenzial, so ziemlich jede Aktionsform linker Bewegungen zu kriminalisieren und/oder zu verhindern! Und das Innenministerium hat sich noch nicht einmal Mühe gegeben, dieses trojanische Pferd wenigstens halbwegs zu tarnen. Ganz unverhohlen wird in der Begründung für den Gesetzesentwurfes klargemacht, worum es hier geht: Den Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes ein für alle Mal außer Kraft zu setzen.
Brokdorf ist ein Stachel, der bei den Freund:innen des autoritäre (Polizei)Staates tief sitzt. 1981 hatten dort bis zu 100.000 Menschen an der bis dato größten Demonstration in der BRD teilgenommen und diese gegen ein riesiges Polizeiaufgebot und weitreichende Demonstrationsverbote durchgesetzt. Teils friedlich, teils ungehorsam, teils militant. Die Polizei war letztendlich machtlos und musste sich teilweise zurückziehen. 4 Jahre später kippte das Bundesverfassungsgericht die in Brokdorf ausgesprochenen Demonstrationsverbote und stärkte das Recht auf Versammlungsfreiheit deutlich: Demonstrationen durften fortan nicht mehr aufgrund von möglichen oder tatsächlichen Ausschreitungen einiger Teilnehmender aufgelöst werden, die Anforderungen an polizeiliche Gefahrenprognosen wurden erstmals festgelegt und der Versuch, Anmelder:innen in Verantwortung für die Handlungen aller Teilnehmenden zu nehmen, wurde zurückgewiesen.
Genau dort setzt nun das Innenministerium NRW die Axt an. Der Brokdorf-Beschluss sei schlichtweg nicht mehr aktuell. Schuld sind: Die Medien. Denn aufgrund von deren “Sensationsbedürfnis” bestehe die Gefahr, dass Demonstrationen aufgrund “sensationeller” Aktionen überproportional viel Aufmerksamkeit erhalten würden. Im Klartext: Große linke Bewegungen wie Ende Gelände, BlockaDO oder HambiBleibt waren in NRW zu erfolgreich und man möchte nicht, dass sie weiterhin mit ihren Aktionen die ihnen gebührende Aufmerksamkeit erlangen. Die Versammlungsfreiheit wäre dann schließlich nicht mehr “staatsstabilisierend”, so das Innenministerium. Damit ist über das Staatsverständnis von Herbert Reul und seinen schwarz-gelben und wohl auch blauen Freund:innen alles gesagt. Wir sagen hingegen: Liebe Genoss:innen, ihr habt eine Menge richtig gemacht. Denn Versammlungen müssen den Staat nicht stabilisieren, sie dienen ja gerade dazu, die herrschenden Verhältnisse zu kritisieren und im besten Sinne zu destabilisieren.
Aber sehen wir uns mal ganz konkret an, was mit dem neuen Versammlungsgesetz eingeschränkt werden soll und für wen das wirklich ein Problem darstellt.
Die Pflichten für Anmelder:innen werden verschärft, u.a. sollen sie ihren Namen öffentlich im Aufruf nennen und der Polizei Listen der Ordner:innen liefern. Für Nazis kein größeres Problem, sind sie doch seit den Kameradschaftsverboten in NRW mittlerweile fast vollständig in Parteien organisiert, die es ihnen ermöglichen, ebenso ungeniert wie nahtlos an ihre verbotenen Aktivitäten anzuknüpfen. Für Anmelder:innen linker Demos ist es hingegen oftmals ein Problem bis hin zu einer realen Gefahr durch extrem rechte Übergriffe, wenn Namen und Adresse bekannt werden. Und auf den Schutz der Polizei NRW, bei der nahezu wöchentlich extrem rechte, in Chatgruppen vernetzte “Einzelfälle” bekannt werden, sollte sich nun wirklich niemand verlassen.
Mit dem sogenannten “Militanzverbot” sollen paramilitärische Aufmärsche verhindert werden. Das ist aber bereits jetzt durch Auflagen und andere Gesetze möglich. Neu hinzu kommt nun ein so weit gefasster Begriff eines Auftretens, das “gewaltbereit” wirkt und geeignet ist, “einzuschüchtern”, dass darunter jeglicher Demoblock fallen kann. Sehr praktisch. Der “schwarze Block” wird in der Begründung explizit genannt und gleich mal in eine Reihe mit den Mörderbanden von SA und SS gestellt. Zukünftig reicht es also, wenn die Polizei sich eingeschüchtert fühlt, um Demos dann in gewohnter Brutalität wie z.B. beim G20-Gipfel aufzulösen. Die Nazis werden sich – mit Ausnahme der NSDAP-Trachtentruppe vom 3. Weg vielleicht – damit arrangieren können: Will man derzeit doch bewusst “bürgerlich” wirken und tritt daher eher ruhig und ordentlich, aber nicht minder menschenverachtend auf. Und möchte man das nicht – bislang sind Versammlungsbehörden und Polizei nicht gerade dafür bekannt, gegen rechte Aufmärsche sonderlich entschlossen vorzugehen, wenn sie beispielsweise gegen das Pyroverbot verstoßen.
Um Ruhe und Ordnung geht es auch beim neu eingeführten “Störungsverbot”. Das stellt sämtliche Störungsversuche und sogar Aufrufe und Vorbereitungen zu diesen unter Strafe. Künftig können also bereits Blockadetrainings kriminalisiert und verhindert werden. Und das obwohl Blockaden juristisch selbst als Versammlungen gelten. Spätestens hier wird die Begründung, es ginge um einen Kampf gegen die extreme Rechte, vollends absurd. Ziviler Ungehorsam durch Nazis ist dann doch eher die Ausnahme. Und falls es mal zu Sitzblockaden durch Nazis kommen sollte, helfen wir den Kamerad:innen gerne ganz unbürokratisch bei der Auflösung, dafür brauchen wir die Polizei dann auch nicht. Nein, mit dem Störungsverbot soll der Protest gegen die extreme Rechte auf reine Symbolpolitik reduziert werden. Und wir wissen: Das hilft nicht. Es wird nicht reichen, auf der anderen Seite der Stadt Bratwürste gegen rechts zu essen, wenn Neonazis sich Raum nehmen wollen. Protest muss der extremen Rechten die Räume nehmen und ihr weh tun.
Heute, am 13. Februar, jährt sich die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten. Sie war jahrelang der Anlass für den größten Naziaufmarsch in Europa. Und dass dieser Aufmarsch Geschichte ist, liegt nicht etwa daran, dass CDU & FDP sich zusammen mit der NPD auf dem Heidefriedhof zum Trauern versammelt haben, sondern daran, dass Zehntausende Antifaschist:innen den Aufmarsch immer wieder blockiert, sabotiert und verhindert haben! Solidarische Grüße an die Menschen in Dresden, die dort trotz allem seit Jahren stabile antifaschistische Arbeit leisten! Wenn die Nazis wiederkommen, tun wir das auch und kein Versammlungsgesetz hält uns davon ab!
Wir wissen auch aus eigener Erfahrung, dass staatliche Verbote immer zweischneidig sind und ein Abwarten im Sinne von “das ist gut intendiert, das wird schon gut gehen” hat bisher nie etwas gebracht. Der Widerstand gegen die extreme Rechte bleibt Handarbeit, und zwar eine, bei der wir uns nicht auf den Staat verlassen dürfen! Nahezu alle Erfolge, die emanzipatorische Bewegungen in den letzten Jahren erreicht haben, wurden erkämpft. Ob mit Großdemos, Streiks, Blockaden, kreativen oder militanten Aktionen – geschenkt wurde uns und unseren Freund:innen nichts. Die Versammlungsfreiheit ist dafür elementar, erlaubt sie es uns doch, uns in aller Diversität zu versammeln und dann gemeinsam zu handeln. Und dieses Recht werden wir uns nicht nehmen lassen. Für die Freiheit – für das Leben! Alerta!