In Gedenken an Jana und Kevin. In Solidarität mit ihren Angehörigen und allen Betroffenen rechter und antisemitischer Gewalt. Gedanken zum rechtsterroristischen Anschlag in Halle

„Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, sie ist das Ende eines Prozesses.“

An diesem Zitat des Shoah-Überlebenden Elie Wiesel werden wir uns nach diesem 9. Oktober 2019 als Gesellschaft messen lassen müssen.

Zwei Menschen wurden aus antisemitischen und rassistischen Motiven erschossen. Ihr Mörder, der vor seiner Tat den Holocaust leugnete, wollte noch deutlich mehr Menschen töten, nur glückliche Umstände verhinderten dies. Er wollte mit seiner Tat offensichtlich ein Fanal setzen – das ist auch der Grund warum wir seinen Namen hier bewusst nicht nennen.

Zwei Menschenleben ausgelöscht, weitere schwer verletzte, Dutzende für eine gefühlte Ewigkeit in Todesangst, unzählige schockiert, erschüttert und betroffen. Auch weil die Polizei in Halle die Bitten der jüdischen Gemeinde um einen erhöhten, permanenten Schutz zu Jom Kippur, dem „Versöhnungsfest“, ablehnte, ihre Sorgen nicht ernst nahm und sich nun zurecht fragen lassen muss, warum sie so gleichgültig agierte.

Antisemitismus ist auch fast 75 Jahre nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus ein gesellschaftlich ebenso weit verbreitetes wie tief verwurzeltes Problem. Das Spektrum reicht von Stereotypen, strukturellen Denkmustern über Verschwörungstheorien bis hin zu offenem Hass aus ideologischer Überzeugung. Die Folge sind Bedrohungen, Beleidigungen und Angriffe auf Menschen jüdischen Glaubens und ihre Einrichtungen. Die Zahl der von der Polizei registrierten antisemitischen Straftaten wächst seit Jahren massiv an.

Antisemitische Denkmuster und Einstellungen werden im Zuge des allgemeinen Rechtsrucks in dieser Gesellschaft immer offener ausgelebt – verschwunden waren sie ohnehin nie. Der Mörder von Halle wird bereits als “Einzeltäter” tituliert – zu einem Zeitpunkt, an dem es nicht einmal ansatzweise möglich ist, zu wissen, in welchen Netzwerken er sich bewegte und wer ihn möglicherweise unterstützte.

Unabhängig von den Ermittlungs- und noch wichtiger den Rechercheergebnissen: Dieser Mörder war nicht allein. Er ist Teil einer extrem rechten weltweiten Bewegung, die von Verschwörungstheorien, Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus geeint wird. Die Bezüge zu den Attentaten von Utöya und Christchurch sind kein Zufall, sondern sehr bewusst gewählt. Und sie werden in der extremen Rechten als Anstoß zum Handeln verstanden – davor dürfen wir nicht die Augen verschließen.

Antisemitische Angriffe treffen eine verschwindend kleine Minderheit in Deutschland – eine immer noch sehr deutlich spürbare direkte Folge der von diesem Land zu verantwortenden beispiellosen Barbarei der Shoah. Und gerade deshalb muss eine wirksame Antwort auf diese Entwicklung aus dieser Gesellschaft kommen.

Es wird nicht reichen, sich auf ein Handeln von Politik und Parteien zu verlassen. Es wird nicht reichen, das Problem an die zunehmend von autoritären Charakteren und extrem rechten Personen durchsetzten Sicherheitsbehörden abzugeben. Es wird nicht reichen, den Mörder von Halle als „Einzeltäter“ zu verorten und sich so vor allem der eigenen Aufrichtigkeit zu versichern. Das wäre Gleichgültigkeit gegenüber dem Problem und seinen Ursachen.

So düster Tage wie der gestrige sind: Es gab an vielen Orten Gedenkveranstaltungen, es gingen Menschen spontan gegen Antisemitismus auf die Straße oder zeigten auf andere Art und Weise, dass sie betroffen, erschüttert, traurig und wütend – eben nicht gleichgültig waren. Das ist ein kleines Zeichen der Hoffnung. Lasst uns daran anknüpfen, daraus Kraft ziehen und gemeinsam dafür sorgen, dass dies der Anfang eines Prozesses wird, nicht sein Ende.

In Gedenken an Jana und Kevin. In Solidarität mit ihren Angehörigen und allen Betroffenen rechter und antisemitischer Gewalt. Gegen jeden Rassismus. Gegen jeden Antisemitismus.

Antifaschistische Linke Münster. 10.10.2019.

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