Am Abend des 21.20.2015 ereignete sich in Havixbeck bei Münster ein rassistischer Angriff, bei dem ein 31-jähriger Mann schwer verletzt wurde. Nach Angaben der Polizei stach der Täter mit einem Messer im Brustbereich auf sein Opfer ein. Trotzdem erheben Polizei und Staatsanwaltschaft nur den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Auch wenn die politische Motivation für die Tat unstrittig ist, dürfen es die Behörden nun nicht versäumen, die politischen Hintergründe des Täters und mögliche Verbindungen zur rechten Szene zu ergründen. Die Tat darf nicht vorschnell als Einzeltat abgehandelt werden, sie muss im Kontext der unzähligen rechten Gewalttaten in den letzten Jahren und des in ähnlicher Weise durchgeführten Attentates auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker betrachtet und umfassend aufgeklärt werden. Es ist wichtig, jetzt die richtigen Fragen zu stellen.
Nach aktuellem Kenntnisstand der Ermittlungsbehörden hatte der Täter, ein 52-jähriger Münsteraner, sein späteres Opfer im Regionalbus nach Havixbeck zuerst rassistisch beleidigt und dessen Tasche durchsucht. An der Haltestelle Havixbeck sprach ihn das Opfer auf diese Beleidigungen an, woraufhin der Täter unvermittelt und unter weiteren rassistischen Beleidigungen im Brustbereich auf den 31-jährigen Mann einstach. Das Messer drang mehrere Zentimeter tief in den Brustkorb ein, das Opfer wurde schwer verletzt in die Universitätsklinik Münster eingeliefert. Der Täter wurde an Ort und Stelle von der Polizei festgenommen.
Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln nun nach eigenen Angaben wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung und Beleidigung gegen den 52-jährigen Münsteraner. Diese Lesart der Tat wirft Fragen auf: Warum wird nur der Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung erhoben?
Der Täter hat offensichtlich mit großer Kraft mit einem Messer auf den Brustkorb des Opfers eingestochen. Unabhängig von der schwer zu beurteilenden Frage, ob die Verletzungen des Opfers im Endeffekt akut lebensgefährlich waren, ist davon auszugehen, dass der Täter von Havixbeck den Tod seines Opfers beabsichtig oder zumindest billigend in Kauf genommen hat. Die Voraussetzungen für eine Ermittlung unter Annahme des Vorwurfs des versuchten Totschlags wären gegeben. (vgl. u.a. Beck’scher Online-Kommentar StGB, § 212 Rn.20/21, ) Warum gehen die Ermitltungsbehörden hier augenscheinlich davon aus, dass der Täter sein Opfer nicht töten, sondern „lediglich“ verletzen wollte? Wie soll es möglich sein, einem Menschen derart „kontrolliert“ in die Brust zu stechen, dass eine Lebensgefahr für das Opfer ausgeschlossen oder zumindest sehr unwahrscheinlich ist?
Der Täter befindet sich mittlerweile wieder auf freiem Fuß, da die Staatsanwaltschaft Münster keine ausreichenden Gründe für die Beantragung eines Haftbefehls sah. Dies ergibt sich zum Einen aus der Bewertung der Tat als gefährliche Körperverletzung. Würde der Vorwurf des versuchten Totschlags – in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung – im Raum stehen, wäre eine Anordnung angesichts des zu erwartenden Strafmaßes naheliegend. Zum Anderen geht die Staatsanwaltschaft offensichtlich auch nicht davon aus, dass eine Verdunklungs- oder Wiederholungsgefahr, die jeweils einen Haftgrund darstellen würde, besteht. Wieder stellen sich Fragen: Warum hat die Staatsanwaltschaft bereits auf die Beantragung eines Haftbefehls verzichtet? Es ist durchaus üblich, die abschließende juristische Prüfung eines Haftbefehls einem Gericht zu überlassen. Gab es eine Hausdurchsuchung beim Täter? Wenn nicht – wieso wird dann davon ausgegangen, dass sich in der Wohnung des Täters keinerlei Hinweise zur Aufklärung der Tat oder wohlmöglich zur Verhinderung weiterer Taten finden würden? Würden derlei Hinweise existieren, hätte der Täter diese mittlerweile leicht vernichten können. Aus welchen Gründen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass eine Wiederholung der Tat nicht wahrscheinlich ist? Nach aktuellem Stand liegt kein persönliches, sondern ein rassistisches Motiv für die Tat vor, das Opfer wurde ausgewählt, weil es aus Sicht des Täters nicht „deutsch“ war.
Umso wichtiger ist es nun, den politischen Hintergrund der Tat zu ergründen. Hat sich der Täter zu der Tat eingelassen? Wenn ja – welche Motive hat er angegeben? Liegen kriminalpolizeiliche Erkenntnisse über den Täter vor? Gibt es Bezüge zu rechten Gruppen oder Parteien? Hat der Täter sich an rassistischer Hetze und Mobilisierungen im Internet beteiligt? Hatten rechte oder rechtspopulistische Medien möglicherweise einen Einfluss auf seine Motivation und Handlungen?
Nach dem Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker war zunächst auch von einem Einzeltäter die Rede. Recherchen antifaschistischer Gruppen brachten jedoch schnell ans Licht, dass Frank S. lange in der militanten rechten Szene aktiv und vernetzt war. Diese Prägung war auch heute noch ausschlaggebend für seinen Mordanschlag, auch wenn Frank S. in den letzten Jahren weder polizeilich und politisch auffällig geworden war. Zudem hatte Frank S. vor seiner Tat anscheinend Beweise vernichtet und Spuren auf mögliche rechte Netzwerke und Unterstützer verwischt.
„Dies zeigt, wie wichtig eine umfassende Aufklärung der politischen und persönlichen Hintergründe einer solchen Tat ist“, so Merle Linkowski, Pressesprecherin der Antifaschistischen Linken Münster. „Diese Fragen müssen gestellt und gründlich beantwortet werden. Ein schnelles Abhaken der Tat darf es nicht geben. Ein Mensch wurde aus rassistischen Motiven angegriffen und beinahe getötet. Diese Tat muss vollständig aufgeklärt werden.“ Unsere Solidarität gilt dem Opfer und seinen Angehörigen.