Am 20.01.2015 wurde die Windthorststraße in Münster mit zusätzlichen Straßenschildern zur Keupstraße erklärt. Diese symbolische Straßenumbenennung ist Teil des bundesweiten Aktionstages der Initiative „Keupstraße ist überall!“, welche die gesellschaftlichen Dimensionen des Nagelbombenanschlags 2004 in der Kölner Keupstraße aufzeigen will und die Betroffenen aus der Keupstraße solidarisch begleitet. Heute demonstriert „Keupstraße ist überall“ in München vor dem Oberlandesgericht, wo im NSU-Prozess die der Opfer des Anschlags seit Dienstag als ZeugInnen aussagen.
„Die Keupstraße wurde nicht zufällig Ziel dies rassistischen Bombenanschlages. Der NSU hat dieses Modell für ein respektvolles und selbstbewusstes Miteinander von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund bewusst angegriffen“, so Merle Linkowski, Pressesprecherin der Antifaschistischen Linken Münster. Besonders schlimm seien für die AnwohnerInnen die Verdächtigungen und Diffamierungen der Polizei nach dem Anschlag gewesen. Die Polizei hatte jahrelang ausschließlich die AnwohnerInnen der Straße verdächtigt und Hinweise auf einen rechtsterroristischen Hintergrund nicht beachete. „Es wäre fatal, anzunehmen, mit dem Ende des Gerichtsprozesses in München wäre die gesellschaftliche Aufarbeitung der NSU-Mordserie beendet. Die Auseinandersetzung mit alltäglichem wie institutionellem Rassismus ist aktuell notwendiger denn je“, so Linkowski. Mit der temporären Umbennenung will die Antifa den Anschlagsfolgen ins öffentliche Gedächtnis rufen.
Her yer Keupstrasse – Keupstraße ist überall!
Am 9. Juni 2004 explodierte auf der belebten Keupstraße in Köln eine in einem Fahrrad versteckte Nagelbombe. Die Bombe war so konstruiert, dass sie möglichst viele Menschen töten sollte. Mindestens 22 Menschen wurden schwer verletzt und traumatisiert, diverse Geschäfte – meist die Lebensgrundlage der selbständigen Betreiber_innen – zerstört. Der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) bekannte sich nach seiner Selbstenttarnung im November 2011 zu dem Anschlag.
Bis dahin ermittelte die Polizei in erster Linie gegen die Opfer des Anschlages und die Anwohner_innen der Straße. Sie wurden allesamt zu potenziellen Täter_innen gemacht und mit schikanösen Ermittlungen überzogen. Einen rassistischen Hintergrund des Anschlages hatten die Behörden noch am selben Tag ausgeschlossen. 7 Jahre lang wurden trotz Indizien und Hinweisen Neonazis nicht ernsthaft als Täter_innen in Erwägung gezogen.
Die Medien und die Öffentlichkeit gaben sich mit den stigmatisierenden Theorien der Polizei von „kriminellen Milieus“ und „organisiertem Verbrechen“ zufrieden. Die Opfer wurden verdächtigt, sie blieben alleine. Die Polizeiermittlungen und Verdächtigungen waren für die Betroffenen ein „Anschlag nach dem Anschlag“.
Das Problem des strukturellen Rassismus bei den Sicherheitsbehörden und in der Gesellschaft zieht sich rückblickend betrachtet wie ein roter Faden durch die Ermittlungen zur Mord- und Anschlagsserie des NSU. Nach der Aufdeckung der Verbrechen versprach die Bundesregierung vollmundig „größtmögliche Aufklärung“. Geschehen ist trotz der teils akribischen Arbeit mehrerer Untersuchungsausschüsse viel zu wenig.
Die verantwortlichen Behörden, insbesondere die Geheimdienste, leugnen und vertuschen ihre eigene Rolle bei der Unterstützung militanter Nazistrukturen und ihre Fehler bei den Ermittlungen. Die notwendige Abschaffung des Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ blieb wenig überraschend aus. Alles was von großspurig angekündigten Reformen blieb, sind erweiterte Befugnisse und ein größeres Budget für die „Schlapphüte“.
In München stehen nun Zschäpe und vier ihrer mutmaßlichen Unterstützer vor Gericht. An der Aufdeckung des gesamten NSU-Netzwerkes hat die Bundesanwaltschaft aber kein Interesse. Es entsteht der Eindruck, dass dieser Prozess nun sämtliche Versäumnisse in der Aufarbeitung wett machen und nach dem Ende der Verhandlungen die Akte NSU geschlossen werden soll.
Dabei kann ein Strafprozess – trotz der unermüdlichen Anstrengungen der die Opfer vertretenden Nebenklage – eine tiefgehende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit neonazistischem Terror und seinen Begleitumständen nicht ersetzen. Die Konsequenz aus dem Terror des NSU muss eine gesamtgesellschaftliche Aufarbeitung von Rassismus sein. Das ist weder einfach noch bequem, aber angesichts der aktuellen Zustände notwendiger denn je.
Die Ini „Keupstraße ist überall“ hat eine umfangreiche Nachbereitung inkl. Fotos und Medienspiegel veröffentlicht.