Im Folgenden dokumentieren wir unseren Redebeitrag zur Kritik am geplanten Versammlungsgesetz des Landes NRW, vorgetragen auf der Kundgebung des Bündnisses „Versammlungsgesetz stoppen NRW – Münster“ am 6. Mai 2021.
Am 3. März 2012 verlässt eine Gruppe junger Antifaschist*innen eine Wohnung im Rumphorstviertel in Münster durch den Hinterausgang. Bereits am Abend zuvor hatten sie sich getroffen und die Nacht dort verbracht, da die Polizei vor hatte, das Viertel ab den frühen Morgenstunden abzuriegeln. Während die Antifas durch das Viertel gehen, treffen sie immer mehr Menschen, die auch dort übernachtet haben – in deutlich größerer Zahl aber auch diejenigen, die selber in dem Viertel wohnen. Alle haben ein gemeinsames Ziel: den Neonazis, die durch das Viertel marschieren wollen, keinen Meter der Straße überlassen. Sie begeben sich zu dem geplanten Startpunkt der Rechten und setzen sich direkt auf die Straße. Diesen Meter Straße bekommen die Nazis schonmal nicht.
Dass die Nazis an dem Tag trotz tausender Menschen, die gegen den Aufmarsch auf die Straße gehen, laufen können, haben sie einem brutalen und vielfach kritisierten Polizeieinsatz zu verdanken. Und zukünftig könnte die hier beschriebene bunt gemischte Gruppe von Blockierer*innen für ihren Protest auch noch hart bestraft werden: Nach § 27 Abs. 4 drohen dann auch Menschen, die durch friedliche Sitzblockaden gegen Nazidemos demonstrieren wollen, Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder Geldstrafen.
Über die vielen Jahre, die wir als Antifaschistische Linke Münster aktiv sind, waren wir zu unzähligen Gelegenheiten gegen das öffentliche Auftreten von Neonazis aktiv. Gemeinsam mit vielen anderen Antifaschist*innen haben wir uns Nazis in den Weg gestellt, gesetzt oder es zumindest versucht. Mal waren wir nur eine handvoll organisierte Antifaschist:innen zugegebenermaßen klischeehaft im black bloc style, mal waren wir mit vielen anderen Aktivist*innen verschiedenster Gruppen, Parteien und Bündnissen unterwegs. Oft waren unsere Blockadeversuche musikalisch durch die münsteraner Samba-Gruppe Rythms of Resistance untermalt und wir haben uns die Kehlen heiser geschrien. Unser Ziel war immer klar: Dort wo Neonazis Auftreten, setzen wir uns hin.
Denn dort wo Neonazis ungestört durch Straßenzüge und Stadtteile marschieren können, fühlen sie sich stark. Sie sorgen für Angst und Verunsicherung derer, die dort leben und bedrohen vor allem die, gegen die sich ihre menschenverachtende Ideologie richtet.
Dort wo Neonazigruppen in den vergangenen Jahren versucht haben, sich den öffentlichen Raum zu nehmen, haben wir Bündnisse mitgeschmiedet und Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit betrieben, um uns dem mit möglichst vielen Menschen gemeinsam in den Weg zu stellen, um sie nicht ungestört marschieren zu lassen.
Das war auch im besagten März 2012 der Fall, als die damals noch aktive Münsteraner Neonazikameradschaft „Nationale Sozialisten Münster“ mit Unterstützung der Nazis der „Kameradschaft Hamm“ durch das Rumphorstviertel in Münster marschierte und mindestens 7000 Gegendemonstrant*innen ihnen unmissverständlich klarmachte, dass sie hier nicht erwünscht sind. In wochenlangen Vorbereitungen haben wir gemeinsam mit den Menschen im Viertel und der Münsteraner Stadtgesellschaft breite Bündnisse und Diskussionsräume geschaffen, ohne die ein solch breiter und entschlossener Protest nur schwer möglich gewesen wäre. Zu dem Anlass waren wir auch maßgeblich an der Gründung des bis heute aktiven Bündnisses „Keinen Meter den Nazis“ beteiligt.
Auch in anderen Städten haben wir immer wieder Antifaschistische Proteste vor Ort durch Mobilisierungen und Beteiligungen an Protest und Blockaden unterstützt. Der Blick auf die Situation in Städten mit aktiver organisierter Naziszene wie Dortmund oder Hamm zeigt, dass es harte Arbeit ist, Nazis konstant Proteste entgegenzusetzen. Den Genoss*innen dort gebührt Anerkennung und Respekt für ihre Arbeit. Stattdessen bekommen sie mit dem neuen Versammlungsgesetz einen Repressionskatalog vor die Füße geworfen, der ihre Arbeit gegen Naziaktivitäten weiter erschwert. Das passt zur Gesamtschau der Gesellschaft: Antifagruppen übernehmen nicht selten die notwendige Drecksarbeit um Nazis zu bekämpfen – und werden dafür am Ende selbst kriminalisiert.
Wenn wir in bundesweiter Perspektive über das Blockieren von Naziaufmärschen reden, darf eine Stadt nicht unerwähnt bleiben: Dresden. Dort wurde 2011 einer der bis dato größten Neonazi-Aufmarsch in Europa durch eine Massenblockade erfolgreich verhindert. Anlass für den revisionistischen so genannten Trauermarsch bot den Nazis der Opfer-Mythos, der sich um die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten im Zweiten Weltkrieg spinnt. Auch wir haben uns damals als Teil eines Bündnisses an den Blockaden beteiligt und sind in einem Bus-Konvoi gemeinsam mit Antifaschist*innen aus ganz NRW nach Dresden gefahren.
Das Konzept von friedlichen Massenblockaden, organisiert und durchgeführt unter bundesweiter Beteiligung von antifaschistischen Gruppen und Bündnissen hat nachhaltig funktioniert und gewirkt. Das für die Neonaziszene damals zentrale Aufmarsch-Event wurde für die Nazis durch die erfolgreiche Blockade 2011 endgültig eher zur Frust- als zur Erfolgsaktion, hat dadurch an Attraktivität verloren und ist so in den Folgejahren zumindest auf ein eher lokales Event zusammengeschrumpft.
In Dresden hat sich gezeigt: Gut vorbereitete und strategisch durchdachte, breit angelegte und friedliche Blockadekonzepte sind ein effektives Instrument gegen Raumnahme und Machtdemonstration von Neonazis.
Doch genau diese Protestform wird durch das neue Versammlungsgesetz ganz besonders in den Fokus genommen. Insbesondere das so genannte „Störverbot“ ist hier relevant. Ein „Störverbot“ ist zwar auch im derzeit gültigen Versammlungsgesetz bereits enthalten. Im Entwurf des durch die schwarz-gelbe Landesregierung geplanten neuen Versammlungsgesetzes für NRW wird dieses „Störverbot“ aber erheblich verschärft – und zwar in einer Weise, die ganz offensichtlich den effektiven Protest gegen Neonazidemonstrationen ganz erheblich erschweren soll.
Sich zu einer friedlichen Blockade gegen einen Neonazi-Aufmarsch auf die Straße zu setzen, soll dem Entwurf zufolge ebenso gesetzeswidrig sein wie allein die Vorbereitung darauf: Eine weitere erhebliche Ausweitung bezieht sich nämlich auf Blockadetrainings, die verboten werden sollen.
Das Versammlungsgesetz der Landesregierung sieht darüber hinaus vor, der Polizei mehr Handhabe beim Abfilmen ganzer Demonstrationen zu geben. Die schwammigen Formulierungen im Gesetzesentwurf zum „Militanzverbot“ haben das Potenzial, der Willkür in den Reihen der Polizei, aber auch in der juristischen Bewertung, Tür und Tor zu öffnen. Die Hürden, überhaupt eine Versammlung anzumelden, werden erhöht, etwa durch Listen mit den Namen und Adressen vorn Ordner*innen im Vorfeld abgegeben werden sollen. (Unter uns: Wir wollen uns angesichts all der extrem rechten so genannten Einzelfälle bei der Polizei lieber kein Bild davon machen, wo Listen mit Namen und Adressen von Nazi-Gegner*innen am Ende landen.)
Es scheint beinahe so, als wolle die Landesregierung möglichst viel dafür tun, damit Nazis in Ruhe demonstrieren können, ohne sich dabei ernsthaftem und spürbarem Widerspruch aussetzen zu müssen.
All diese im Gesetzesentwurf angelegten Maßnahmen verfolgen die Stoßrichtung, Versammlungen und Protest generell ein kriminelles Framing zu verpassen. Das schreckt ab und schüchtert ein: Selbst wenn Menschen eine klare Haltung gegen Neonazis und ihr Weltbild haben, werden sie es sich unter solchen Vorzeichen künftig zweimal überlegen, ob sie ob sie gegen einen Naziaufmarsch durch ihr Viertel auf die Straße gehen. Deswegen ist für uns klar: Diese autoritäre Verschärfung des Versammlungsgesetzes muss verhindert werden.
Wir werden auch in Zukunft dort sitzen oder stehen, wo Nazis demonstrieren wollen. Für uns gilt weiterhin: Keinen Meter den Nazis!