Am 17.08.2019 demonstrierten 80 Antifaschist*innen in Hamm gegen das Nazizentrum im Kentroper Weg 18 und ein dort stattfindendes Rechtsrock-Konzert. Unser Redebeitrag thematisiert die geänderte Strategie der Hammer Neonazis, die Gefährlichkeit von Rechtsrock-Netzwerken wie „Blood & Honour“ und die Verharmlosung des damit verbundenen rechtsterroristischen Netzwerks „Combat 18“ durch die Sicherheitsbehörden.
Der Kentroper Weg. Ein Wohngebiet in der Hammer Mitte. Mehrfamilienhäuser, Vorgärten, Mittelklassewagen. Eine ruhige Gegend. Doch diese Ruhe trügt. Denn mittendrin zwischen Spaßbad und Oberlandesgericht liegt eine der wichtigsten Immobilien der extremen Rechten in NRW: Das „Zuchthaus“ im Kentroper Weg 18, eine ebenso unscheinbare wie heruntergekommene ehemalige Tennisgaststätte in einem kleinen Hinterhof. Hier finden seit Jahren regelmäßig Rechtsrock-Konzerte, Infoveranstaltungen und Kneipenabende statt. Unbehelligt von Polizei und Stadtverwaltung haben sich die Hammer Neonazis wie Martin Böhne, Patrick Gerstenberger und Tim Hauptführer hier eine sichere Basis für ihre Aktivitäten geschaffen.
Die ruhige Fassade gehört dabei zum Kalkül: Aufmerksamkeit, Unruhe und Ärger mit Polizei und Anwohner:innen sind schlecht für das Geschäft – auch wenn es das immer mal wieder gab und gibt. Und die Strategie geht auf: Angesichts sinkender Fallzahlen in der ohnehin nur bedingt aussagekräftigen polizeilichen Kriminalstatistik für das Jahr 2018 fabulierte Oberbürgermeister Thomas Hunsteger-Petermann jüngst in der Presse davon, dass die extreme Rechte in Hamm „kein Bein an die Erde bekommen würde“. Angesichts von alleine 6 Rechtsrockkonzerten in diesem Jahr möchten wir uns nicht vorstellen, was passieren müsste, damit der Oberbürgermeister von einem Naziproblem in der Stadt spricht. Die Nazis in Hamm haben – auch bedingt durch den Wegzug von ehemaligen Kadern – ihre Strategie geändert. Anstatt auf Dauerpräsenz und Parteiarbeit setzen sie nun vor allem auf Rechtsrock und interne Veranstaltungen.
Als vermeintlich ausschließlich subkulturelle und private Veranstaltungen getarnt, dienen die Rechtsrock-Konzerte im Kentroper Weg neben der ideologischen Festigung der Besucher:innen und der Schaffung von Gemeinschaftserlebnissen auch als finanziell ertragreiches Geschäft: Die Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten, Merchandise und Getränken spülen schnell 4-stellige Summen in die Kassen. Geld, was nur äußerst schwer nachzuverfolgen ist, und auch in die Finanzierung von konspirativ organisierten militanten Nazistrukturen fließen kann. Diesen Strukturen dienen Rechtsrock-Konzerte zugleich als Orte für die Vernetzung, die Planung von Aktivitäten und den Austausch von verbotenen Waffen, Devotionalien und Infomaterial.
Wie gefährlich Rechtsrock-Netzwerke sind, ist lange und hinlänglich belegt: Die deutsche Sektion des in England gegründeten „Blood & Honour“-Netzwerks war die wichtigste Unterstützungsstruktur für die Terrorist:innen des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU). Das Netzwerk ist in Deutschland seit dem Jahr 2000 verboten, aber international weiterhin aktiv und auch in Deutschland nicht untätig: Konzerte in Hamm werden auch von internationalen Blood & Honour Strukturen beworben, Hammer Neonazis spielen mit ihren Bands auf B&H-Events im Ausland und erst im April spielte mit Ken McLellan ein Gründungsmitglied von B&H ein Konzert im Kentroper Weg 18. Vor dem Hintergrund des Verbotes von B&H zeigen sich die deutschen Sicherheitsbehörden erstaunlich zögerlich und zimperlich Im Umgang mit offensichtlichen Nachfolgeaktivitäten und -strukturen.
Noch absurder wird es beim Umgang mit dem rechtsterroristischen Netzwerk „Combat 18“, welches als bewaffneter Arm von „Blood & Honour“ gegründet wurde, um die mit der Musik propagierte Ideologie in die Tat umzusetzen. Wie verbietet man eine Organisation, lässt ihren bewaffneten Arm aber weiter gewähren? Diese Herausforderung „meistern“ Innenministerien, Geheimdienste und Polizeien seit rund 20 Jahren „erfolgreich“ auf teils äußerst kreative Art und Weise. Anfangs verständigte man sich auf die Einschätzung, es gäbe gar keine feste Struktur von Combat 18 in Deutschland und ignorierte dabei völlig das von der Organisation offen propagiertes Konzept eines führerlosen Widerstandes mit kleinen autonom agierenden Terrorzellen. Wer hier nur nach einer festen Vereinsstruktur mit fester Satzung, Mitgliedsbeiträgen und Kasse sucht, muss zwangsläufig Offensichtliches übersehen.
Auch als sich dann Mitte der 2000er Jahre in Dortmund eine Combat18-Zelle aus dem Umfeld der Rechtsrock-Band Oidoxie gründete und sich Waffen und Sprengstoff besorgte, änderte sich nichts. Als die Existenz dieser Zelle dann nach der NSU-Enttarnung öffentlich wurde, entschied man sich, an der konsequenten Verharmlosung festzuhalten: Die Zelle wäre keine ernstzunehmende militante Organisation, sondern vielmehr ein Versuch, sich in der rechten Szene wichtig zu machen. Die mit Sprengstoff, zwei Pumpguns und mindestens einer Maschinenpistole bewaffneten Nazis wären keine Terroristen, sondern schlichtweg “Maulhelden“ gewesen, weshalb „man da nicht weiter reingeschaut hätte“, wie es Burkhard Freier, heute Präsident des Verfassungsschutz NRW, 2016 noch formulierte.
Nach den Morden des NSU in Dortmund und Kassel sowie der Enttarnung wichtiger Strukturen durch das Auffliegen von V-Mann Sebastian Seemann zerstreuten sich die Combat 18 Strukturen zumindest im Ruhrgebiet für eine Weile. Nachdem sich Combat 18 nach einiger Inaktivität im Jahr 2013 mit dem Ziel einer europaweiten Reorganisation wieder gegründet hatte, entstanden in den Folgejahren auch in Deutschland wieder festere Strukturen des Netzwerks, die sich vornehmlich aus den altbekannten Kadern der Organisation rekrutierten. Hier wurde nahtlos an vorherige Arbeit angeknüpft.
Seitdem die aktuellen Aktivitäten von Combat 18 in Deutschland durch antifaschistische Recherchearbeit seit 2016 umfassend dokumentiert und auch die Existenz einer festen, vereinsähnlichen Struktur seit Sommer 2018 hieb- und stichfest belegt ist, gestehen auch die Sicherheitsbehörden offiziell ein, dass “Combat 18” existiert. Aber zugleich erklären sie: Straftaten von Combat 18 Mitgliedern würden von diesen nicht „im Sinne der Organisation verübt, sondern als Einzelpersonen“, so Burkhard Freier jüngst gegenüber Medien. Wie diese Unterscheidung zustande kommt, auf welchen Kriterien und Erkenntnissen sie basiert, würde uns brennend interessieren, wird aber wohl wie so vieles ein Geheimnis des Verfassungsschutzes bleiben.
Nachdem Hinweise für Kontakte des mutmaßlichen Mörders des Kassler Regierungspräsidenten Walther Lübcke ins C18-Netzwerk und zu dessen führenden Kadern um Stanley Röske aus Kassel bekannt wurden, kündigte Bundesinnenminister Horst Seehofer zweimal öffentlichkeitswirksam an, ein Verbot der Gruppe prüfen zu lassen. Auch diese doppelte Ankündigung dürfte ein Novum in der Geschichte der Vereinsverbote in Deutschland darstellen. Wenn ein Verbot wirklich noch kommen sollte, wird auch der letzte Nazi seine Wohnung aufgeräumt, Beweise vernichtet und Waffen und sonstiges Material an einem sicheren Ort verstaut haben. Ein Verbot träfe die Organisation zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sonderlich hart. Ähnliches gilt für den Verfassungsschutz, der ausreichend Zeit hatte, V-Leute diskret still zu legen und die eigenen Akten mal wieder einer ausführlichen datenschutzrechtlichen Prüfung zu unterziehen.
Statt sich zurück zu ziehen veröffentlichte “Combat 18” ein offizielles Video, in dem der Neonazi Robin Schmiemann aus Dortmund als Sprecher der Gruppe auftrat. Nachdem er erklärt hatte, der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke sei kein C18-Mitglied, bedrohte er offen einen Journalisten des NDR. Auch ein Indiz dafür, dass die Gruppe weiß, was sie von den Sicherheitsbehörden zu erwarten hat. Nämlich wenig bis gar nichts. Schließlich wird es schwierig, der Öffentlichkeit zu erklären, warum eine Struktur, die man jahrelang verleugnete, verharmloste und schließlich immer unter Kontrolle zu haben glaubte, sich plötzlich doch als das erweist, als das sie gegründet wurde: Eine brandgefährliche rechtsterroristische Organisation.
Wir können uns im Kampf gegen die extreme Rechte nicht auf die Sicherheitsbehörden verlassen. Diese Lektion haben wir gelernt. Wir können aber weiterhin recherchieren, aufdecken, hinterfragen, kritisieren und wenn möglich und notwendig blockieren, sabotieren und angreifen. Es gilt, Neonazis und ihren Netzwerken die Räume für ihr mörderisches Handeln zu nehmen. Fangen wir damit doch vor unserer Haustür an, hier im Kentroper Weg. Kein Raum für Rechtsrock – das Nazizentrum im Kentroper Weg 18 dichtmachen! Alerta!