Eine vertane Chance oder warum immer noch mit Rechten reden?

Am Montag fand – begleitet von Protesten – eine „Wahlarena“ im Schloss statt, an der neben den Europawahlkandidat*innen von CDU, SPD, FDP und Grünen auch der AfD-Kandidat Martin Schiller teilnahm. Seit längerer Zeit fordern Antifaschist*innen der AfD keine Bühne zu bieten, sondern sie und ihre politischen Überzeugungen überall dort auszugrenzen, wo dies möglich ist. Doch noch immer wird dann reflexhaft erwidert, man müsse doch mit den Rechten reden, man könne sich doch der Auseinandersetzung nicht entziehen, man dürfe doch eine (von einem Teil der Stimmberechtigen) gewählte politische Partei nicht ausschließen.

Es ist geradezu absurd: Je stärker sich die AfD radikalisiert, je einflussreicher der faschistische Flügel um Björn Höcke und Co wird und um so lautstärker sie mit rassistischen Parolen aufwartet, desto penetranter werden die Forderungen, mit den Rechten doch bitte zu reden. Doch reden worüber? Und wozu? Klare Kante und unmissverständliche Haltung sind stattdessen angesagt. Fehlt es daran, so wird die weitere Normalisierung der AfD begünstigt.

Auch im Vorfeld der „EU-Wahlarena“ konnte dies beobachtet werden. Es gab gar keine Notwendigkeit, dass die Veranstaltenden, eine EU-freundliche, liberale Jugendorganisation namens „Junge Europäische Föderalisten“ (JEF), die Europa-Union sowie die Stadt Münster, den AfD-Vertreter einladen. Trotzdem wurde es wie selbstverständlich gemacht. Neben den grundsätzlichen Erwägungen, eine extrem rechten und rassistische Partei nicht zur gleichberechtigten Diskussionspartner*in zu adeln, hätte es auch konkrete Argumente gegeben: Die AfD hat einen Sitz im Europaparlament, die NPD und Die Partei ebenfalls. Doch letztere wurden selbstverständlich nicht eingeladen. Es hätte auch gute Argumente gegen die Person Martin Schiller gegeben, doch dazu später mehr.

Das einzige Argument der Veranstaltenden war, dass die AfD im Bundestag vertreten ist. Ja und? Dann muss die politische Auseinandersetzung mit der AfD im Bundestag geführt werden – ebenso wie in den Landtagen, Stadträten und wo sie sonst noch sitzt. Warum folgt aus der Bundestagspräsenz, ihr das nächste Podium zur Selbstdarstellung zu gewähren? Es zeigt sich hier die eingangs erwähnte Beobachtung: Die AfD erreicht aufgrund von Wahlergebnissen neue Mittel der politischen Einflussnahme und kann ihre Macht somit ausbauen, was schlimm genug ist, aber nicht zu ändern. Doch ohne Not werden ihr daraufhin weitere Türen geöffnet.
Wer so handelt, schließt sich letztlich der wie ein Mantra wiederholten Behauptung der AfD an, dass wer sie nicht einlade oder ihr den – aus ihrer Sicht – angemessenen Platz gewähre, undemokratisch handeln würde. Warum? Undemokratisch wäre es, die AfD-Fraktion im Bundestag polizeilich verhaften zu lassen und somit an der Ausübung ihrer Mandate zu hindern. Es ist aber nicht undemokratisch zu sagen, diese Veranstaltung und diese Diskussion führen wir ohne eine extrem rechte Partei. Das ist nicht undemokratisch, sondern zeugt von einer antifaschistischen Haltung.

Vor der Veranstaltung am 8. April sah es zeitweise so aus, als würden die Kandidat*innen von SPD, Grünen und Linkspartei eine solche antifaschistische Haltung zum Ausdruck bringen. In einer gemeinsamen Erklärung fanden sie deutliche Worte für die AfD. Die drei Politiker*innen nannten die AfD eine „rassistische, sexistische und homophobe, menschenfeindliche Partei“, die unter dem Deckmantel, eine Politik für „kleine Leute“ zu machen, Hass verbreite und versuche, unsere Gesellschaft zu spalten. „Sie träumen davon, den gesellschaftlichen Fortschritt zurück zu drehen und wollen einen antidemokratischen, autoritären Staat. Wir dürfen diesen Hetzparolen keinen Raum geben, unsere offene und demokratische Gesellschaft zu zerstören“, hieß es in der Erklärung. Die Politiker*innen erklärten weiter, dass die inhaltliche Auseinandersetzung im Wahlkampf auf dem Konsens basiere, dass Grundwerte wie Demokratie, Menschenwürde, Religionsfreiheit und die Achtung der Vielfalt individueller Lebensentwürfe nicht verhandelbar seien. „Wer aber diese Grundwerte ablehnt, kann nicht Teil des demokratischen Diskurses sein.“

Diese Charakterisierung der AfD in der Erklärung ist vollkommen richtig, ebenso die Überzeugung, dass es mit der AfD keinen Konsens über Grundwerte gibt, der aber Bedingung ist, um mit ihr überhaupt in einen Diskurs zu treten. Doch was folgte aus den richtigen Erkenntnissen? Am Schluss ihrer Erklärung forderten die Politiker*innen Veranstalter*innen auf, ihre Podien, wo immer dies möglich sei, nicht mit der AfD zu besetzen. Die JEF und andere hat dies offenbar nicht überzeugt, eine Ausladung Martin Schillers zogen sie nicht in Betracht.

Das „Keinen Meter“-Bündnis schlug daraufhin öffentlich den Kandidat*innen vor, eine eigene Podiumsdiskussion ohne die AfD am gleichen Tag zu veranstalten. Doch nur der „Die Linke“-Vertreter Hannes Draeger nahm die Einladung des Bündnisses an und fand mit dieser Entscheidung auch Rückhalt in seiner Partei. Die beiden Kandidatinnen von SPD und Grünen waren nicht gewillt, ihrer Erklärung auch Konsequenzen folgen zu lassen. Stattdessen setzten sie sich mit Martin Schiller aufs Podium.

Damit haben sie eine große politische Chance vertan, ein deutliches Signal gegen die AfD zu setzen, das sicherlich auch über Münster hinaus Gehör gefunden hätte. Jetzt stehen sie ganz schon blöd da. Denn auf markige Worte folgte….nichts.

Die Vertreterinnen von SPD und Grünen machten zugleich deutlich, dass ihnen die Teilnahme an einem Wahlkampfpodium wichtiger ist, als ein gemeinsames Vorgehen mit den antifaschistischen Kräften der Stadt, mit denen ihre Parteien selbst seit 2012 ein Bündnis bilden. Ein Bündnis übrigens, dass sich unter dem Motto „Gegen Rassismus und soziale Ausgrenzung“ gegründet hatte, und dessen Anspruch es, nach unserer Überzeugung immer noch, ist, dem Rassismus wortwörtlich keinen Meter zu lassen – egal wo und in welcher Form dieser auftritt.

Jetzt sehen wir als Antifa unsere Aufgabe nicht darin, Politikberatung für SPD und Grüne zu machen. Uns geht es um etwas anderes: Wenn drei Kandidat*innen gemeinsam erklärt hätten, sich nicht mehr mit der AfD auf ein Podium zu setzen, dann wäre dies ein weiterer wichtiger Schritt gegen die Normalisierung der extrem rechten AfD gewesen. Ein Kontrapunkt mit Ausstrahlungskraft.

Es ist unsere Überzeugung, dass der Kampf gegen die AfD nicht nur auf der Straße geführt wird, sondern ebenso auf allen anderen Ebenen. Politische Auseinandersetzung mit den Inhalten der AfD? Ja, natürlich. Mit den Rechten über ihre Forderungen, ihre Weltsicht und ihre antidemokratischen „Lösungen“ reden? Sicher nicht.
Wer ernsthaft davon ausgeht, dass die extreme Rechte in solchen Formaten wie der „Wahlarena“ die Diskussion sucht, offenbart vor allem eines: Unkenntnis über die Diskursstrategien der extremen Rechten. Die extreme Rechte sucht keinen inhaltlichen Diskurs, sie nimmt sich den öffentlichen Raum und die damit verbundene Reichweite dankend, um ihre rassistische Ideologie weiter zu normalisieren. Ihre ganz verbalen „Ausrutscher“ und „Entgleisungen“ sind dabei kalkulierte Provokationen, die sie ganz bewusst in die Welt setzen. Im Nachhinein wird sich höchstens halbherzig distanziert, in dem gesagt wird, man habe es irgendwie anders gemeint. Das geht nun seit Jahren so und wir sollen uns immer noch in Nachsicht üben?

Beispiel Martin Schiller. Er verglich kürzlich Greta Thunberg mit einem BDM-Mädel, die „fridays for future“-Bewegung mit einer Nazi-Organisation. Auf die Kritik an dieser unsäglichen Relativierung des NS-Regimes folgte nur die Aussage Schillers, er sei ja eigentlich kein Freund von Nazi-Vergleichen, das Plakat habe ja auch aus den 50er-Jahren in der DDR stammen können…(Anmerkung: Nein, hätte es eben nicht.) In der Vergangenheit waren von Schiller ähnliche Töne zu vernehmen. Als die Jüdische Gemeinde Münster sich kritisch über die AfD äußerte, unterstellte Schiller deren Vorsitzenden Sharon Fehr, dass dieser den „schleichenden Verfall eines Landes, welches Sie verachten“ genieße. Es sei wohl zu viel von Fehr verlangt, dass er die „Sorge um unser Vaterland“ teile, so der AfD-Ratsherr. In antisemitischer Diktion hatte Schiller den Juden Fehr damit nicht nur verbal aus Deutschland ausgebürgert, sondern ihm auch noch unterstellt, den „Verfall“ des „Vaterlandes“ anzustreben. Ein weiteres Beispiel: Als die „Ehe für Alle“ beschlossen wurde, warnte Schiller in einer Erklärung, dass als nächstes dann das Ehelichen von Ziegen folgen könnte. Und als er die Gelegenheit dazu hatte, warf Schiller zusammen mit einem Kameraden einen vermeintlichen Gegendemonstranten gewalttätig aus der Münsteraner Stadtbücherei und verletzte ihn dabei. Mit der Tat brüstete sich Schiller später in den sozialen Medien. Jetzt hat Schiller deswegen einen Strafbefehl wegen Körperverletzung erhalten.

Die AfD ist schnell dabei, ihren politischen Gegner*innen eine Einschränkung der Meinungsfreiheit vorzuwerfen. Sie selbst führt aber, ausgehend von den Parlamenten, eine koordinierte Strategie, um möglichst sämtliche Kritik an ihrer Politik mundtot zu machen. Meinungsfreiheit bedeutet für die AfD nämlich in erster Linie, dass sie ihre Meinungen nicht nur ungefiltert verbreiten kann, sondern dass auch die Kritik daran zu unterbleiben hat.

Aus diesem Grund attackiert die AfD z.B. Kulturschaffende wie Theater, Frauenberatungsstellen oder Initiativen gegen Rassismus, denen sie die staatliche Förderung streichen will. Sie betreibt Denunziationsplattformen im Internet, in denen Eltern und Schüler*innen AfD-kritische Lehrer*innen melden sollen. Sie greift die Institutionen der politischen Bildung an, will sie abwickeln. Sie fährt seit langer Zeit eine Kampagne gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nur aus populistischen Motiven („Zwangsgebühren“), sondern weil sie private Medien bevorzugt, die sich ökonomisch unter Druck setzen lassen und weil Boulevardmedien ihrer Art der politischen Kommunikation stark entgegenkommen.

Daneben setzt die AfD so massiv wie keine andere politische Partei auf das Internet und soziale Netzwerke. Sie ist umgeben von einem Netz von ihr nahestehenden Zeitschriften und Projekten, die ihre Botschaften verstärken. Dabei verbreitet die AfD regelmäßig Lügen und Falschaussagen. Ihr nahestehende „Trollfabriken“ manipulieren den politischen Diskurs in den sozialen Netzwerken und versuchen kritische Stimmen durch Denunziationen, Beleidigungen und Herabwürdigungen zum Verstummen zu bringen.

So sieht die Diskursstrategie der AfD aus. Und wir als ihre politischen Gegner*innen sind so dumm und bieten ihren Vertreter*innen einen Platz in der Runde an, um mit ihnen über politische Inhalte zu reden? Nein. Der einzige Schluss kann nur lauten: Nicht mit Rechten zu reden. Ihnen keinen Meter zu lassen, nicht auf der Straße, nicht im Parlament und nicht in der öffentlichen Diskussion.

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