Deutsche Zustände – rassistische Normalität?

Die AfD scheiterte diese Woche gleich zweimal mit dem Versuch, eine Veranstaltung im Münsterland abzuhalten. Zuerst am Freitag in Burgsteinfurt , dann gestern in Münster. Deutlich erfolgreicher war das Keinen Meter Bündnis, welches in beiden Fällen zu Protesten aufgerufen hatte. Gestern demonstrierten ganz ohne die AfD gut 150 Menschen in Münster gegen deren rassistische Politik. Hier unser Redebeitrag von der Kundgebung:

Deutsche Zustände – rassistische Normalität?

„Es leben zu viele Ausländer in Deutschland.“
„Viele Juden versuchen aus der Vergangenheit des Dritten Reiches heute ihren Vorteil zu ziehen und die Deutschen dafür zahlen zu lassen.“
„Um Recht und Ordnung zu bewahren, sollte man härter gegen Außenseiter und Unruhestifter vorgehen.“

Was sich anhört, wie ein Zusammenschnitt von der letzten PEGIDA-Demo, stammt aus einer soziologischen Studie von 2003. Unter dem Titel „Deutsche Zustände“ untersuchten Forscher:innen der Universität Bielefeld in einer Langzeitstudie das Potenzial menschenfeindlicher Einstellungen in der deutschen Gesellschaft. Den gerade gehörten rassistischen, antisemitischen und autoritären Aussagen stimmte eine Mehrheit der Befragten zu. Die Studie schätzte das sogenannte „rechtspopulistische Potenzial“ damals auf 13,6 %.

Seit einigen Jahren können wir beobachten, wie sich dieses Potenzial immer stärker manifestiert. Rechte Bewegungen wie PEGIDA versuchen, mit ständigen Demonstrationen die Straßen für sich zu vereinnahmen, während in den Talkshows der Republik die Salonrassist:innen jeglicher Coleur und Partei ihre Thesen weitestgehend ungestört verbreiten können. In der öffentlichen Debatte wird Stück für Stück wieder „sagbar“, was bis vor Kurzem noch aus guten Gründen zu einer sofortigen Disqualifikation geführt hätte.

Mit der AfD hat es nun erstmals eine rechte Partei geschafft, dieses Potenzial dauerhaft zu aktivieren und von ihm zu profitieren. Die Partei sitzt mittlerweile in 10 Landtagen und hat sich somit ihr Überleben damit für die nächsten Jahre gesichert. Die Prognosen haben sich also erfüllt: Die “deutschen Zustände” sind zur politischen Realität geworden. Das Potenzial war lange bekannt und bereits viel länger vorhanden. Ist seine Manifestation damit also der normale Lauf der Dinge? Alles bekannt und halb so wild? Nein!
Die AfD fährt gerade die Ernte all der unsäglichen rechten Stimmungsmache ein, wie sie seit Jahren von rechten Blogs wie “Politically Incorrect”und „Verschwörungsmagazinen wie “compact” aber auch von einem Bestseller-Autor Sarrazin verbreitet wurde.

Nicht zuletzt haben Teile der herrschenden Politik mit ihrer Art, wie sie eine Angst-verusachende und Neid-erzeugende Debatte über Zuwanderung und Geflüchtete führten, der AfD ihr aktuelles Erfolgsthema auf dem Silbertablett serviert. Und bereits jetzt beeinflusst die AfD zusammen mit anderen rechten Bewegungen den politischen Diskurs massiv: Weite Teile der politischen Parteien reagieren selbst mit einem massiven Rechtsruck auf die Erfolge von AfD & Co und tragen somit zur weiteren Etablierung nationalistischer und rassistischer Positionen bei.

Die Folgen dieser Politik sind tödlich: Tausende Tote im Mittelmeer, hunderte Anschläge auf Unterkünfte für Geflüchtete in Deutschland und täglich rassistisch motivierte Angriffe auf Menschen. Diejenigen, die brandstiften, zuschlagen oder pöbeln, wähnen sich wahlweise als Vollstrecker:innen eines vermeintlichen „Volkswillens“ oder als in Notwehr handelnde Beschützer:innen ihres Volkes.
Eine tödliche Logik, die auch in Münster Konsequenzen hatte: Im Frühjahr 2016 wurde eine im Bau befindliche Unterkunft für Geflüchtete in Hiltrup gleich zweimal in Brand gesteckt. Der Haupttäter gab vor Gericht an, er hätte mit der Tat die Frauen in seinem Viertel vor den männlichen Geflüchteten schützen wollen. Er bediente sich damit exakt des Narrativs, das rechte Parteien wie die AfD nach den Übergriffen und der sexualisierten Gewalt in der Silvesternacht 2015 in Köln verbreitet hatten.

Ursprünglich sollte heute der AfD-NRW-Landesvorsitzende Martin Renner in der Gaststätte Kranefeld auftreten. Renner gehört dem völkisch-nationalistischen Flügel um Björn Höcke und Andre Poggenburg an. Er vertritt damit genaue jene Theorien von einer bedrohten deutschen „Identität“, von einer völkischen Gemeinschaft, die es gegen alles vermeintliche Fremde und Progressive zu verteidigen gilt. Mit allen Mitteln – auch wenn Renner das so offen wahrscheinlich nicht formulieren würde: Die Botschaft ist klar, sie kommt an und sie wirkt.

In letzter Zeit haben viele Wirt:innen diesen Zusammenhang erkannt und sich geweigert, der AfD ihre Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Wir erinnern uns alle daran, wie die AfD im Januar diesen Jahres eine Veranstaltung mit ihrer Bundesvorsitzenden Frauke Petry in Münster absagen musste, nachdem mehrere Locations ihr aufgrund des breiten Protestes kurzfristig die Verträge kündigten. Auch der Betreiber der Gaststätte Kranefeld hat seine Entscheidung nochmal überdacht und die AfD letztendlich vor die Tür gesetzt: Das ist ein Erfolg unserer Proteste! Die AfD muss ihre Treffen und Veranstaltungen in Münster zunehmend heimlich organisieren und durchführen. Das schränkt ihren Handlungsspielraum und ihre Außenwirkung spürbar ein und frustriert ihre Mitglieder zunehmend.

Dennoch gibt es immer noch einige Wirt:innen, denen es egal zu sein scheint, mit wem und auf wessen Kosten sie Geschäfte machen. So konnte die AfD ihre Stammtische lange Zeit mit Billigung des Betreibers im Kruse Baimken am Aasee abhalten und sich dort ungestört vernetzen, beraten und um neue Mitglieder werben. Auch der Eigentümer des Ludwigshauses in Burgsteinfurt, in dem letzte Woche eine kurzfristig abgesagte AfD-Veranstaltung stattfinden sollte, verteidigte seine Vermietung an die AfD offensiv. Oftmals wird dann angeführt, dass die AfD nunmal keine verbotene Partei sei und schließlich in verschiedenen Landtagen sitzen würde. Man müsse sich dem Diskurs mit der Partei halt stellen.

Damit machen es sich die Vermieter:innen zu einfach. Menschenfeindlichkeit wird nicht dadurch legitim, dass ausreichend viele Menschen sich menschenfeindlich verhalten oder eine Partei wählen, die das tut. Das ist auch nicht demokratisch. Wer Menschen das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben frei von Diskriminierung abspricht, kann weder Geschäfts- noch Diskussionspartner:in sein. Mit Personen oder Organisationen, die solche Positionen vertreten, zu diskutieren, legitimiert diese und gibt ihnen Handlungsspielräume, die sie ausnutzen werden, um genau das abzuschaffenm, was sie für sich selbst so gerne in Anspruch nehmen: Bewegungs-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Daher bleibt unsere Devise: Nicht mit rechten Parteien reden. Und diese auch nicht reden lassen! Keine Räume für Rassist:innen!

Dieses Credo bedeutet aber nicht, Veranstaltungen rechter Parteien und Organisationen zukünftig nicht mehr zu beachten. Im Gegenteil: „Das gewalttätigste Element einer Gesellschaft ist die Ignoranz.“ Je häufiger die Rassist:innen auftreten, desto deutlicher müssen wir sie zurückweisen! Sei es im Freundeskreis, in der Schule, bei der Arbeit, in den sozialen Netzwerken oder im öffentlichen Raum wie heute Abend hier: Wir werden nicht zulassen, dass rassistische, sexistische, homophobe, chauvinistische oder antisemitische Hetze zur gesellschaftlichen Normalität wird! Dies gilt insbesondere auch in Hinblick auf die kommenden Wahlen 2017 zum Landtag und zum Bundestag. Hier müssen wir alle schon jetzt überlegen, wie wir die AfD stoppen können.

Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der alle Menschen frei von Diskriminierung und Ausbeutung nach ihren Bedürfnissen leben können. Deshalb: Keine Ruhe für Rassist:innen! Keine Ruhe für die AfD!

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