Am 28.06.2016 wird der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, an einer Podiumsdiskussion zum Thema “Freiheit oder Kontrolle: Wie finden wir den richtigen Ausgleich?” an der Uni Münster teilnehmen. Hoher Besuch, den wir nicht unkommentiert stehen lassen wollen – wir rufen daher mit anderen Gruppen und Einzelpersonen zu einer Kundgebung am 28.06. um 17:30 Uhr vor dem Hörsaal SCH2 an der Scharnhorststraße 100 auf.
Die Veranstaltung mit Hans-Georg Maaßen ist Teil der Ringvorlesung “Aktuelle Herausforderungen für die Innere Sicherheit”, welche sich äußerst einseitig mit „Terrorismus, Extremismus, Cyber-Crime, Organisierte Kriminalität und anderem“ beschäftigt. Geladen sind fast ausschließlich hochrangige Vertreter von Sicherheitsbehörden wie BKA, Verfassungsschutz, Europol und der Bundeswehr – es bleibt wohl das Geheimnis vom Institut für Politikwissenschaft und der FH für öffentliche Verwaltung, was diesen Werbeblock zu einer Vorlesung machen soll. Die Fachschaften für Politik und Soziologie haben bereits reagiert und eine eigene Ringvorlesung unter dem Titel „Kritische Perspektiven auf die Innere Sicherheit“ auf die Beine gestellt. Dort sprach u.a. Theaterregisseur Tuğsal Moğul über das Versagen der Behörden im NSU-Komplex.
Maaßens persönliche Karriere ist eng mit diesem Komplex verbunden. Nach der Selbstenttarnung des NSU und der Aufdeckung der ersten eklatanten Versäumnisse und direkten Verstrickungen des VS in den NSU-Komplex übernahm er das Amt 2012. Angetreten war Maaßen als Reformer, der den VS modernisieren und sicherstellen sollte, dass Fehler im Umgang mit formal moderaten wie offen militanten Neonazis nicht wiederholt werden. Von diesem Anspruch ist nun, knapp 4 Jahre später, nichts aber auch gar nichts übrig geblieben. Der Verfassungsschutz ignoriert, blockiert und sabotiert die Aufklärung im NSU-Komplex nach Kräften. Die Phrase „ist mir nicht erinnerlich“ ist mittlerweile zum geflügelten Wort in den Untersuchungsausschüssen und im NSU-Prozess geworden. Und jedes Mal macht sie wütend. Wütend auf ein Amt, das den Schutz eigener Quellen, Mitarbeiter*innen und Machenschaften über die Interessen von Opfern, Angehörigen und der Gesellschaft stellt. Wütend auf ein Amt, das jahrelang Neonazis finanziert und vor Strafverfolgung geschützt hat, aber nichts falsch gemacht haben will.
Allen Erkenntnissen zum Trotz müssen wir mit ansehen, wie die Verfassungsschutzbehörden landauf landab mit mehr Befugnissen und Ressourcen ausgestattet werden. Vormals illegale Praktiken sollen im Handstreich legalisiert werden: V-Leute sollen ganz legal “szenetypische” Straftaten begehen dürfen und selbst bei erheblichen Straftaten soll in letzter Instanz der VS entscheiden, ob eine Strafverfolgung erfolgt. So lange Neonazis also Informationen liefern, können sie weiterhin davon ausgehen, dass das Amt seine schützende Hand über sie hält. Darüber hinaus werden die Schlapphüte bald die Überwachung des Internets deutlich ausweiten und die Kontrolle des Dienstes bleibt genauso unzureichend wie gehabt. Jegliche Reformvorhaben sind gescheitert und es wird deutlich: Der Verfassungsschutz ist nicht reformierbar, er gehört aufgelöst und abgeschafft!
Am Scheitern der Reformen war Hans-Georg Maaßen als Lobbyist in eigener Sache maßgeblich beteiligt. Mit medialer Dauerpräsenz schürte er die Angst vor Anschlägen, spielte die Rolle der eigenen Behörde bei jedem Skandal herunter, beklagte die Belastung des Amtes durch die vielen Untersuchungsausschüsse und sorgte in Abstimmung mit der Politiker*innen der Bundesregierung dafür, dass die Reformen nicht nur zahnlos blieben, sondern dem Amt mehr Macht sicherten. Der VS ging aus dem NSU-Komplex gestärkt hervor und dieses neue Selbstbewusstsein spiegelt sich zunehmend in Maaßens Verhalten wieder. Gegen zwei Journalisten von netzpolitik.org ließ er ein Verfahren wegen Landesverrats einleiten, weil diese über die Pläne des VS zur großflächigen Überwachung des Internets berichteten. Hinter diesem eher plumpen Manöver stand mutmaßlich das Kalkül, im Falle einer Verurteilung die Weitergabe von Informationen an den Bundestag deutlich einschränken zu können. Der Plan scheiterte zwar am öffentlichen Aufschrei, blieb für Maaßen aber folgenlos, während Generalbundesanwalt Range in den Ruhestand geschickt wurde. Maaßen wirbt unterdessen weiter um Mitarbeiter*innen, um all die neuen Stellen besetzen zu können, und präsentiert dabei den Verfassungsschutz als Arbeitgeber, bei dem man straffrei machen könne, was man schon immer mal tun wollte.
Diese Maxime zieht sich wie ein roter Faden durch das Handeln des Verfassungsschutzes. Für den Umgang mit Neonazis als V-Leuten bedeutet das, dass sie Narrenfreiheit genießen, solange das Amt das Gefühl hat, die Sache unter Kontrolle zu haben. Im NSU-Komplex hatte diese Fehleinschätzung fatale Folgen.
Der VS dient in erster Linie sich selbst, entzieht sich jedweder Kontrolle und geht zunehmend aggressiv gegen Kritiker*innen vor. Ein kritisches Hinterfragen der eigenen Methoden, eine Offenlegung der eigenen Strukturen oder gar ein ideologisches Umdenken von ihm zu erwarten wäre ebenso naiv wie falsch. Der Verfassungsschutz gehört aufgelöst, abgeschafft und entsorgt. Restlos. Sein Chef Hans-Georg Maaßen ist eine der denkbar unpassendsten Redner*innen, die uns zum Thema „Freiheit oder Kontrolle“ einfallen, und das werden wir ihm und seinem Publikum deutlich sagen.
Verfassungsschutz auflösen! Rassismus bekämpfen!1
28.06.2016 / 17:30 Uhr / Institut für Politikwissenschaft, Scharnhorststraße 100, Münster
- „Verfassungsschutz auflösen! Rassismus bekämpfen!“ war das Motto einer bundesweiten antifaschistischen Demo gegen den Verfassungsschutz am 10.11.2012 in Köln. Fast 4 Jahre und etliche neue Enthüllungen später ist es aktueller denn je. [zurück]