Unser Redebeitrag auf der Kundgebung am 30.04.2016 anlässlich des rassistischen Brandanschlags in Hiltrup:
Liebe Freundinnen und Freunde,
der Schock über den Brandanschlag sitzt noch tief. Die Täter_innen sind weiterhin unbekannt, aber das Motiv dieser Tat liegt auf der Hand: Rassismus.
Dieser Brandanschlag ist Teil einer Welle rassistischer Gewalt, die 2014 begann, seit 2015 immer weiter eskaliert und teilweise an die Zustände Anfang der 90er Jahre erinnert, in denen bei zahlreichen Anschlägen und Pogromen Dutzende Menschen starben und Hunderte verletzt wurden. 2015 verfünffachte sich die Anzahl der Straftaten gegen Geflüchtete und ihre Unterkünfte, das BKA zählte über 1000 Delikte, darunter hunderte Brandanschläge. Von allen Bundesländern geschahen in NRW die meisten Straftaten. In einem aktuellen Lagebild kommt das BKA lapidar zu dem Schluss, dass mit rassistisch motivierten Tötungsdelikten (weiterhin) gerechnet werden muss. Dass es bislang noch keine Todesopfer gab, ist nur dem Zufall zu verdanken.
Auch das ansonsten so beschauliche Münsterland bildet leider keine Ausnahme. 2015 gab es Dutzende Angriffe, darunter ein Brandanschlag in Coesfeld, ein gerade noch vereitelter Angriff mehrerer Bewaffneter auf eine bewohnte Unterkunft für Geflüchtete in Ahlen und ein beinahe tödlicher Messerangriff in Havixbeck.
Ein Ende der Gewalt ist auch 2016 nicht abzusehen. Brandanschläge in Raesfeld, Bocholt, Gescher, Ascheberg und Harsewinkel zählen zur Bilanz alleine des ersten Quartals dieses Jahres.
Erstmals ist jetzt auch in Münster eine Unterkunft für Geflüchtete angezündet worden. Die Welle der Gewalt ist aus dem Hinterland in die Stadt geschwappt. Die Unterkunft war zum Glück noch unbewohnt, aber ein Blick in andere Städte zeigt, dass rassistische Brandstifter*innen darauf selten Rücksicht und Tote oftmals mehr als billigend in Kauf nehmen.
Die offiziellen Stellen geben sich zur Suche nach den Täter*innen von Hiltrup relativ bedeckt, u.a. heißt es, man habe bislang kein Bekennerschreiben erhalten, ein rassistisches Motiv könne man derzeit aber nicht ausschließen. Dass kein Bekennerschreiben vorliegt, ist bei solchen Anschlägen üblich. Rassist*innen und Neonazis wissen, dass ihre Taten auch ohne Begründung als das verstanden werden, was sie sind: Ausdruck von rassistischem Hass und rechtem Terror.
„Taten statt Worte“ ist nicht erst seit dem NSU ein Leitspruch der militanten Rechten – das klare Bekenntnis, ihre menschenverachtende Ideologie in letzter Konsequenz umzusetzen. Sie gehen davon aus, wenn sie eine Unterkunft für Geflüchtete anzünden oder Asylbewerber*innen angreifen, diese Taten einerseits sich selbst erklären, andererseits eine Botschaft an andere potentiell Betroffene aussenden, die heißt: „Ihr seid ebenso gemeint, ihr könntet die nächsten sein.“ Dieser durch die Gewalt verbreiteten, zusätzlichen Verunsicherung müssen wir entgegentreten. Deswegen sind Zeichen der Solidarität, wie diese Kundgebung, so wichtig.
Die Ermittlungen gegen rassistische Täter*innen werden oftmals ergebnislos eingestellt, nur ein kleiner Anteil der Brandstifter*innen kann identifiziert werden. Bei denjenigen, die identifiziert werden konnten, handelt es sich nach BKA-Angaben in der Mehrzahl um junge Menschen, die aus den Orten stammten, in denen die Taten begangen wurden – und nur 30 Prozent waren dem Staatsschutz zuvor als rechtsmotivierte Straftäter*innen bekannt. Das ist ein beunruhigender Befund, weil er zeigt, dass Menschen zum Brandsatz greifen, die zuvor vielleicht noch nicht besonders auffällig waren. Die Hälfte aller aufgeklärten Taten wurde von einer kleinen Gruppe begangen. All dies zeigt: Das rassistische Gewaltpotential ist gestiegen.
Aber auch organisierte Neonazis befinden sich natürlich unter den Täter*innen. Auffällig ist, dass in Hiltrup in den vergangenen Wochen regelmäßig rassistische Aufkleber von Neonazi-Gruppen wie „Der III. Weg“ verklebt worden sind. Auch in diesem Stadtteil sind Neonazis also aktiv.
Der Anschlag von Hiltrup wurde von allen etablierten Parteien einstimmig verurteilt. Man ist sich einig, die in Münster gelebte Willkommenskultur gegen rassistische Angriffe zu verteidigen. Diese deutliche Reaktion ist erfreulich und wichtig. Allerdings hat sie einen schalen Beigeschmack.
Die derzeitige Welle rechter Gewalt ist nicht zu erklären, ohne den allgemeinen Rechtsruck in der Politik zu betrachten. In Reaktion auf die sogenannte „Flüchtlingskrise“ – die eigentlich eine Krise der Festung Europa ist – erstarkten in ganz Europa rechte Parteien mit Forderung nach einer stärkeren Abschottung und einer repressiven Asylpolitik. Große Teile der Politik reagierten nicht mit einer klaren Absage an fremdenfeindliche Positionen, sondern versuchten, diese „Sorgen“ aufzunehmen.
Die Folge waren die schärfsten Asylrechtsverschärfungen seit der de-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993. Ein fatales Signal. Anstelle die Akteure und Anhänger*innen der neuen und extremen Rechten einzufangen und den rassistischen Diskurs zu beruhigen, fühlten sich diese noch bestärkt, da zentrale Forderungen von Ihnen bereits in Gesetze gegossen worden sind. Sie konnten sich als konsequente Alternative darstellen und die die Grenzen des Sag- und Machbaren mit jeder Debatte um ein neues Asylgesetzespaket weiter nach rechts verschieben. Eine Entwicklung, die der AfD bei den folgenden Wahlen viele Posten in den Landesparlamenten bescherte und die Existenz der Partei auf Jahre hinweg sichert.
Wenn zugleich von Teilen von Politik und Medien von einem vermeintlichen „Staatsnotstand“, einem „Unrechtsregime“ und „überschrittenen Belastungsgrenzen“ gesprochen wird, dann verstehen die Rassist*innen, dann versteht die „Wir wollen das nicht schaffen“-Fraktion, dies so: „Der Staat ist nicht fähig, dem Problem Herr zu werden, also müssen wir es selbst in die Hand nehmen.“ Rassistische Brandstifter*innen ziehen aus so einer Stimmungslage zusätzliche Legitimation, können sie sich doch als Vollstrecker*innen eines vermeintlichen Volkswillens sehen. Aus geistiger Brandstiftung wird eine ebenso reale wie tödliche.
Rassismus kann nicht auf ein erträgliches oder vertretbares Maß reguliert werden. Rassimus tötet. Wenn Menschen aufgrund ihrer Migrationsgeschichte das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben abgesprochen wird, ist das keine diskutable Position! Wer versucht, rassistische und national-chavinistische Forderungen als berechtigte Sorge aufzufassen und zu kanalisieren, macht diese hoffähig und sich selbst schuldig. Menschenrechte sind keine Verhandlungsmasse!
Wir setzen heute gemeinsam ein Zeichen der Solidarität mit Geflüchteten und gegen Rassismus. Das ist richtig und wichtig! Der Punkt, „Es reicht!“ zu sagen, ist längst überschritten.
Doch was können wir tun? Die Antwort heißt: Nicht in Ohnmacht erstarren, sondern weitermachen. Eine andere Wahl haben wir nicht.
Wir merken, dass sich die Gesellschaft zunehmend polarisiert: auf der einen Seite die zunehmend aggressiver auftretende Gruppe Menschen, die immer mehr rassistische Forderungen und Vorstellungen übernehmen. Auf der anderen Seite Menschen, die sich für Geflüchtet einsetzen. Dazwischen viele, die nicht direkt Position beziehen wollen. In so einer Situation müssen wir alle gegen Rassismus und Nationalismus das Wort ergreifen – nicht nur auf Kundgebungen und Demos, sondern in unserem Alltag. Das erfordert, rassistischen Positionen entgegen zu treten und sich offen zu positionieren. Auch gegenüber Menschen, die einem Nahe stehen. Das ist nicht leicht. Es ist nicht schön, auf einem Familientreffen die rassistischen Stereotypen der Verwandten anzusprechen, bei der Arbeit rassistische Witze in der Kaffeeküche zu unterbinden oder in den sozialen Netzwerken Diskussionen über vermeintlich „lustige“ Bilder zu führen. Es ist anstrengend. Es ist ungemütlich. Aber es ist unersetzlich.
Großen Mut macht die große Unterstützung, die aus den Stadtteilen heraus für Geflüchtete organisiert wird. Jeder Anschlag und jede rassistisch geführte Debatte soll auch diese Unterstützung delegitimieren. Es ist gut zu sehen, dass sich die Helfenden davon nicht beirren lassen.
Schlussendlich: Wir müssen uns energisch für eine humane Asylpolitik in Europa einsetzen, in der Menschenrechte nicht länger mit Füßen getreten, Menschen nicht länger in Lager gesperrt werden oder im Mittelmeer vor den Augen der EU-Behörden ertrinken.
In diesem Sinne freuen wir uns über all die Menschen, die heute den Bundesparteitag der AfD in Stuttgart blockieren, die morgen die Naziaufmärsche in Bochum und in Plauen verhindern, die in Osnabrück und sonstwo Abschiebungen blockieren, die Geflüchtete auf und nach der Flucht unterstützen und damit ganz klar sagen: Solidarität mit allen Geflüchteten! Gegen die geistigen und praktischen Brandstifter*innen!