Stellungnahme zur Reportage: „Antifa: Was wollen Linksradikale?“

Antifa Linke Münster

Am 29.07.2020 veröffentlichten die „Reporter“ im Rahmen des Schwerpunkts #Extremland des Medienportals Funk die Reportage „Antifa: Was wollen Linksradikale?“ der Journalisten Timm Giesbers und Tobias Dammers, in dem auch Mitglieder unserer Gruppe zu Wort kommen. Uns wurde in der Anfrage zu dem Stück vermittelt, dass ein differenziertes Bild von Antifaarbeit gezeichnet werden soll. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil: Das Ergebnis entspricht keinen journalistischen Standards und liefert ein verzerrtes Bild. Wir wurden über Kontext und inhaltliche Ausrichtung der Reportage getäuscht. Wir wären nicht Teil der Reportage, wenn wir die realisierte Stoßrichtung und das extremismustheoretische Framing hätten antizipieren können. Im Folgenden führen wir unsere Kritik aus, machen unsere Motivation zur Teilnahme transparent und wollen damit in eine öffentliche Reflexion gehen.

Framing

Die beiden Journalisten geben an, sich kritisch-investigativ den Themen „Antifa“ und „Linksradikale“ nähern zu wollen. Dass sie diesem Selbstanspruch nicht gerecht werden können, liegt unter anderem an den Vorannahmen und eigenen Bildern, die die beiden mit in die Produktion des Stücks genommen haben. Deutlich wird dies unmittelbar zu Beginn des Stücks, wenn Timm Giesbers sagt: „Wenn ich an Antifa oder Linksradikale denke, dann kommen mir sofort die Bilder von G20 in den Kopf, also schwarz Vermummte bei einer Demonstration, Randale, Krawalle. Wir wollen in diesem Video verstehen: Was wollen diese Linksradikale eigentlich für ein Deutschland?“ (00:13) Eine kritische Reflexion der eigenen Bilder im Kopf ist offensichtlich nicht Ziel der Reportage. Das eigene Framing „Antifa=Gewalt“ war für die beiden Journalisten hingegen offenbar so wirkmächtig, dass sie ohne Kontext eingeblendete Bilder von Polizeigewalt gegen offenbar linke Demonstrant*innen mit der Aussage hinterlegen, dass auf diesen Bildern Gewalt ausgehend von linken Demonstrant*innen zu sehen sei (09:12). Sogar das offensichtliche wird nicht gesehen. Dass unter solchen unkritisch übernommenen Vorurteilen die Produktion eines investigativ-kritischen Beitrags nicht möglich ist, liegt nahe. Neben der illegitimen Rahmung „Antifa=Gewalt“ wird ebenso das umstrittene Modell der Extremismustheorie zur Kontextualisierung des Stücks verwendet. Die Veröffentlichungen der Reportage im Schwerpunkt „ExtremLand“ erfolgt zusammen mit Beiträgen zum rechtsterroristischen Lübcke-Mörder Stephan E., den rechtsextremen Soldaten des KSK, Holocaustleugnern und Reichsbürgern. Veröffentlichungen zur extremen Rechten und einen Bericht über Antifaschist*innen in einer Reihe darzustellen ist praktizierte Extremismustheorie. Antifaschistische Arbeit, die sich in ihrem Kern gegen rechten Terror und Rassismus richtet, wird hier kommentarlos neben eben diesen gestellt.

Dekontextualisierung

Die in der Reportage wiedergegebenen Interviewauszüge geben nur einen Bruchteil der geführten Interviews, die alle länger als eine Stunde dauerten, wieder. Dass in diesem Kurzformat eine vollständige Wiedergabe nicht möglich und Schnitte notwendig sind, ist klar. Problematisch wird es aber, sobald Aussagen dadurch aus dem Kontext genommen und inhaltlich geändert werden. Dies ist in diesem Fall geschehen, sowohl bei uns als auch bei den anderen Interviewpartnern. Hier verletzten die Reporter journalistische Standards und verfälschen getätigte Aussagen. Wenn Tobias Dammers und Timm Giesbers am Ende der Reportage in 60 Sekunden alle Interviews auf pauschale Aussagen reduzieren, die in der Form von uns nicht getätigt wurden, müssen sie sich endgültig vorwerfen lassen, tendenziös und handwerklich unsauber zu arbeiten.

Selbstdarstellung als Selbstzweck

Der Anspruch der beiden Journalisten, investigativ zu arbeiten wird durch die Art des Formats sowie ein nachgeschobenes Interview der Redaktion mit den beiden unterstrichen. Zu behaupten, dass es superschwierig gewesen sei, an die Szene ranzukommen, ist Teil der Selbstdarstellung von der “Reporter” lebt. Letztendlich bestand die Arbeit allerdings lediglich darin Emails zu schreiben, in sozialen Netzwerken Nachrichten zu verschicken und Vorgespräche zu führen. Das ist Standard in der journalistischen Arbeit. Dass E-Mail-Verkehr verschlüsselt geführt wird und Interviewpartner*innen nicht über ihre privaten Telefone kommunizieren und anonym auftreten, sollte für investigative Journalist*innen ein nachvollziehbarer Standard zum Quellenschutz sein und wird vom Berufsverband empfohlen. Hier wird zum Einstieg bewusst versucht, eine Dramatik zu konstruieren, die es de facto nicht gegeben hat.

Fehlende Hintergrundrecherche

Die reißerische Machart lenkt von der mangelhaften Hintergrundrecherche ab. Die Inhalte des Stücks geben an keiner Stelle einen Hinweis darauf, dass zur inhaltlichen Vorbereitung auf eine andere Quelle als Berichte von Verfassungsschutzämtern zurückgegriffen wurde. Diese als Quelle heranzuziehen mag in Einzelfällen möglich sein und für Journalist*innen zur Ausgewogenheit in Berichterstattung gehören. Jedoch gänzlich unkritisch die Deutung der Ämter über politische Aktivist*innen zu übernehmen zeugt von einer unprofessionellen Praxis. Auch und gerade staatliche Behörden müssen sich immer und erst Recht im journalistischen Kontext einem kritischen Blick unterziehen. Quellencheck ist ein gängiger journalistischer Standard. Kritik an den vom Verfassungsschutz getragenen Inhalten und der daraus resultierenden Praxis wird beileibe nicht nur von der radikalen Linken formuliert, sondern auch von kritischen Journalist*innen, Expert*innen und einer breiten Öffentlichkeit.

Verkürzung statt Verstehen

Dass der Gegenstand des Beitrags im Grunde nicht verstanden wurde, wird auch dadurch deutlich, dass konsequent radikale Linke mit Antifa gleichgesetzt wird. Wir sind Teil einer heterogenen, sich (solidarisch) streitenden und um Konsens und Kompromiss ringenden sozialen Bewegung, die sich nicht ausschließlich mit dem Kampf gegen die extreme Rechte befasst. Wäre letzteres der Fall und würden Themen wie etwa Antirassismus, soziale Gerechtigkeit, Feminismus und Klimaschutz nicht bearbeitet, dann hätte die radikale Linke kein progressives Potenzial. In Kenntnis dessen hätte den beiden auch klar werden müssen, dass die Frage, wie eine ideale Gesellschaft aus radikal linker Perspektive aussehen soll, von uns als einzelner Gruppe nicht pauschal beantwortet werden kann und will. Zum einen, weil unsere Arbeit nicht darauf ausgerichtet ist. Es gibt Gruppen mit passenderen Schwerpunkten. Unsere Arbeit besteht in erster Linie im Kampf gegen die extreme Rechte. Zum anderen, weil es die eine einfache Antwort nicht gibt, sondern diese immer nur so gut wie der Diskurs und Streit um sie ist: Fragend schreiten wir voran.

Wem nützt das Stück?

Die Antwort auf diese Frage ist so ernüchternd wie das Stück selbst. Nicht weiterbringen wird es diejenigen, die Interesse an einem Wissen zu antifaschistischer Arbeit haben. Und auch nicht denjenigen, die mehr über die radikale Linke und ihre Utopien erfahren wollen. Noch nicht einmal diejenigen, die sich kritisch mit der Frage zum Verhältnis zur Gewalt auseinandersetzen wollen, kommen weiter. Am Ende hat das Stück zwei Nutznießer. Zum einen bedient es eine Logik, die auf Klickzahlen ausgerichtet ist. Zum anderen nützt das Stück der extremen Rechten, die in ihrem Streben, das Narrativ „Antifa=Gewalt“ voranzutreiben, unterstützt wird. Dieser Beitrag wird eine Kronzeugenfunktion einnehmen: Wenn sogar die von der extremen Rechten als Lügenpressen bezeichneten öffentlich-rechtlichen Medien das Narrativ bedienen, dann muss es ja wahr sein. Extrem rechte Bewegungen und Medien wie einprozent.de, Sezession und Tagesstimme haben den Beitrag bereits für sich entdeckt und für ihre Propaganda genutzt. Der Rückzug auf die Position, dass man lediglich journalistisch arbeitet, funktioniert nicht, wenn man ein rechtes Narrativ zur radikalen Linken reproduziert und bedient.

Unsere Motivation: Antifa sichtbar machen

Im Rahmen unseres zehnjährigen Jubiläums organisierten wir 2018 die Vortragsreihe „Antifa sichtbar machen“, deren Ziel es war transparenter zu machen, welche Arbeit antifaschistische Gruppen und Personen leisten. Damit wollten wir den gängigen Stereotypen über “die Antifa” entgegentreten. Wir haben Antifaschist*innen aus der ganzen Bundesrepublik eingeladen, ihre Arbeit vorzustellen, um eine Idee der Bandbreite von Antifaarbeit zu geben. Mehr zu der Reihe ist auf unserem Blog nachlesbar. Vor diesem Hintergrund haben wir auch die Anfrage der Journalist*innen diskutiert, die uns im Februar 2020 erreichte. Der Anfrage und den Vorgesprächen mit beiden Journalist*innen folgend wollten diese einen Bericht drehen, in der ein differenziertes Bild von Antifaarbeit gezeichnet wird und wir wie andere Antifaschist*innen die Möglichkeit bekommen, zu beschreiben was uns in unserer Arbeit wichtig ist. Transparent war auch, dass nur ein kleiner Teil unseres Interviews in das Stück kommen würde und trotz des Risikos, dass dadurch uns wichtige Inhalte verloren gehen könnten sagten wir die Anfrage nach Vorgesprächen unter bestimmten Rahmenbedingungen zu.

Mit Methoden der Boulevardmedien

Wir wurden von den Journalisten über die Rahmenbedingungen, den Schwerpunkt und den Kontext des Stücks getäuscht. Zum einen war klarer Teil der Absprachen im Vorfeld, dass das Stück nicht unter extremismustheoretischen Vorannahmen veröffentlicht werden würde. Darüber hinaus war auch klarer Teil der Absprachen, dass eine inhaltliche Reduktion auf das Thema Gewalt nicht stattfinden würde. Beide Absprachen wurden nicht eingehalten. Die zweite Kernfrage des Stücks nach linksradikalen Utopien war kein Teil des im Vorfeld abgesprochenen Themenkatalogs, die Frage nach Zielen von Antifaarbeit hingegen schon, letztere sind klar benennbar: Wir wollen die extreme Rechte daran hindern das zu tun, was sie tun will. Abgesprochen war auch, dass in dem Beitrag insgesamt ein differenziertes Bild von Antifaarbeit gezeichnet werden soll, dies ist nicht geschehen.

Wir kritisieren die manipulativen Methoden die genutzt wurden, um uns zu einer Teilnahme an dem Stück zu bewegen. Wir sind nicht der Meinung, dass es sich hierbei um einen kritischen Bericht handelt, wie Journalisten und Redaktion behaupten. Es handelt sich um einen handwerklich schlechten, tendenziösen Beitrag. Timm Giesbers und Tobias Dammers folgen keinen professionellen journalistischen Standards, sondern denen der Boulevardpresse.

Zusammenarbeit mit Medien

Seit Bestehen unserer Gruppe haben wir mit unterschiedlichen Medien und Journalist*innen zusammen gearbeitet. Das werden wir auch in Zukunft tun. Aus der vorliegenden Arbeit der beiden folgt für uns leider einmal mehr, dass eine Arbeit mit Journalist*innen die über uns berichten wollen und über deren Tätigkeit und Expertise nur wenig bekannt ist, so weit wie möglich eingeschränkt werden muss. Einen Vertrauensvorschuss, der sich aus einer grundlegenden Anerkennung journalistischer Arbeit ableitet wird es nicht mehr geben. Gleichwohl ist es uns in diesem Zusammenhang ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass es zahlreiche kritische, sowie linke und antifaschistische Journalist*innen gibt, mit denen eine Zusammenarbeit wichtig und richtig ist. Professionelle Journalist*innen können Verbündete von Antifaschist*innen sein. Uns liegt es fern ein allgemeines Medienbashing zu betreiben: Gute Journalist*innen arbeiten sowohl für öffentlich-rechtliche, als auch für private Medien. Umso verwunderter haben wir festgestellt, dass offenbar auch die Redaktion des Fernsehmagazins Westpol die Journalisten bei der Produktion unterstützt hat und in der Anfrage als wesentliche Referenz genannt wurde. Die dort produzierten Beiträge unterliegen in der Regel höheren journalistischen Standards.

Wir haben den Journalisten und der Redaktion untersagt das mit uns gedrehte Material weiter zu verwenden und raten von einer Zusammenarbeit ab.

Antifaschistische Linke Münster, 05. August 2020

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